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Raya und Kill - Gefaehrliche Grenze

Raya und Kill - Gefaehrliche Grenze

Titel: Raya und Kill - Gefaehrliche Grenze
Autoren: Sue Twin
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Hinter ihm sehe ich die
besorgten Gesichter meiner Eltern, den Statthalter Cesare Liberius höchstpersönlich,
drei Leute vom Gill-Corps und Alina. Sie löst sich aus der Gruppe und läuft auf
mich zu.
    Ich falle ihr um den Hals. »Gottseidank ist dir
nichts geschehen.«
    »Ich bin zurückgelaufen und habe Hilfe geholt.«
    »Danke. Ähm, aber die brauchte ich eigentlich
nicht.« Zu dumm, sie ist zu meinem Vater in die städtische Bibliothek geeilt. Er
hat sich hilfesuchend an die Gills gewendet. Das blieb natürlich dem
Statthalter nicht verborgen. Anders kann ich mir diesen Aufmarsch nicht
erklären.
    Ich spähe an Alina vorbei zu Pa:ris. Er macht eine
gute Figur in der schwarzen Lederjacke mit den goldenen Knöpfen. Aber sein
Blick ist wütend und streng. Er hat die Lippen zu einem schmalen Strich zusammengebissen.
Seit er zur Eliteeinheit in der Gill-Garde und damit zu den Besten der Besten
gehört, ist er mir fremd geworden. Früher haben wir gemeinsam vor der Allmacht
seines Vaters gezittert, nun wird er ihm immer ähnlicher. Ich wollte ihn mal
heiraten. Aber in letzter Zeit, je näher der Tag der Entscheidung rückt, desto
unsicherer werde ich.
    Mein Vater packt Alina am Arm. Er zieht sie grob
weg von mir und schiebt sich zwischen uns.
    »Was hast du dir dabei gedacht?«, brüllt er mich
an. Ohne eine Antwort abzuwarten holt er aus und schlägt mir hart ins Gesicht.
Mein Kopf fliegt zur Seite. Ich will widersprechen, aber da sehe ich das zufriedene
Grinsen im Gesicht des Statthalters. Plötzlich begreife ich, mein Vater hat
mich nicht geschlagen, um mich zu demütigen, sondern um Cesare Liberius zu
besänftigen. Ich ahne, dass viel für mich auf dem Spiel stehen muss. Sonst
hätte mein Dad das nicht getan.
    Unglücklich suche ich den Blick meiner Mutter. Tränen
steigen ihr in die Augen – die Angst um ihre einzige Tochter droht ihr Herz zu
zerreißen.
    »Es ist nichts passiert …Vater … Mutter«, flüstere
ich.
    Liberius zeigt mit dem Finger auf mich. »Soraya,
mir scheint, dir bekommt das Erwachsensein nicht. Du wirst endlich lernen
müssen, dich an unsere Regeln zu halten. Bis gestern lag das Ermessen über
deine Strafe noch bei deinen Eltern. Seit heute gilt das nicht mehr. Morgen
werde ich gemeinsam mit dem Gerichtsrat über dich entscheiden. Du erfährst das
Urteil am Mittag.«
    Wieso Strafe?, will ich ihn fragen, aber mir versagt
die Stimme, als ich in seine wütenden und eiskalten Augen blicke. Kein Gesetz
verbietet uns, die Stadt zu verlassen. Seit gestern darf ich es sogar ohne
Erlaubnis meiner Eltern. Andererseits müssen Mädchen und Frauen ihren Eltern
gehorchen, bis sie verheiratet und in den Schutz eines Ehemannes übergeben
wurden. Ab dann bestimmt der Ehemann über uns. Fakt ist jedenfalls, dass meine
Eltern mir niemals erlaubt hätten, allein die Stadt zu verlassen.
    Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie meine Mutter
entsetzt die Hände vor den Mund schlägt. »Aber sie ist doch erst seit ein paar
Stunden siebzehn Jahre. Cesare, so macht doch bitte eine Ausnahme! Es ist ja
nichts geschehen«, fleht sie.
    Auch Pa:ris räuspert sich. »Vater, du wirst sicher
einen gerechten Verweis für sie finden.«
    Im Klartext heißt das, verweise sie, aber bestrafe sie nicht, und behandle sie
bitte nicht wie eine Verbrecherin, denn das wäre nicht gerecht.
    Dankbar lächele ich Pa:ris an. Aber er dreht
wütend den Kopf weg.

 
    ***
    Wenige Stunden später liege ich in meinem Bett
und muss immerzu an Kill denken. Mit niemandem kann ich darüber reden, was ich
erlebt habe. Kaum jemand aus der Bevölkerung kam einem Falkgreifer oder einem Wolfer
so nahe wie ich. Zumindest hat er es nicht überlebt. Unbewaffnete Frauen und Kinder
haben keine Chance gegen die Bestien. Nur ausgebildete Gills stellen sich ihnen
entgegen.
    Unruhig wälze ich mich auf der Matratze hin und
her. Meine Angst vor der Welt jenseits der schützenden Stadtmauern ist durch den
Ausflug kein bisschen geringer geworden. Im Gegenteil. Hätte ich geahnt, wie
viele von ihnen da draußen
herumschleichen, ich weiß nicht, ob ich das Risiko eingegangen wäre.
    Oh doch, das
wärst du, widerspricht mein selten schlafender, innerer Kritiker. Sei doch bitte einmal ehrlich zu dir! Du
erstickst hier in diesen Ruinen. Seit langem schon quälen dich brennende Fragen
darüber, warum die Welt so ist, wie sie ist – und ob sie wirklich so ist, wie
die Alten sagen.
    Gerade jetzt fällt mir das Gemälde in unserer
Kirche wieder ein. Das Lamm, das neben dem
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