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Matto regiert

Matto regiert

Titel: Matto regiert
Autoren: Friedrich Glauser
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Verwahrloste Jugend
    Da wurde man am Morgen, um fünf Uhr, zu nachtschlafender Zeit also, durch das Schrillen des Telephons geweckt. Der kantonale Polizeidirektor war am Apparat, und pflichtgemäß meldete man sich: Wachtmeister Studer. Man lag noch im Bett, selbstverständlich, man hatte noch mindestens zwei Stunden Schlaf zugut. Aber da wurde einem eine Geschichte mitgeteilt, die nur schwer mit einem halbwachen Gehirn verstanden werden konnte. So kam es, daß man die Erzählung des hohen Vorgesetzten von Zeit zu Zeit unterbrechen mußte mit Wie? und mit Was? – und daß man schließlich zu hören bekam, man sei ein Tubel und man solle besser lose!… Das war nicht allzu schlimm. Der kantonale Polizeidirektor liebte kräftige Ausdrücke und schließlich: Tubel… B'hüetis!… Schlimmer war schon, daß man gar nicht recht nachkam, was man nun eigentlich machen sollte. In einer halben Stunde werde man von einem gewissen Dr. Ernst Laduner abgeholt; so hatte es geheißen, der einen in die Heil- und Pflegeanstalt Randlingen führen werde, wo ein Patient namens Pieterlen – ja: P wie Peter, I wie Ida, E wie Erich… – kurz ein Patient Pieterlen ausgebrochen war…
    Das kam vor… Und zu gleicher Zeit, das heißt in der gleichen Nacht, sei auch der Direktor der Spinnwinde – so drückte sich der hohe Vorgesetzte aus, der nicht gut auf die Psychiater zu sprechen war – verschwunden. Alles Nähere werde man von Dr. Laduner erfahren, der gedeckt sein wolle, gedeckt von der Behörde. Und über das Wort ›gedeckt‹ hatte der kantonale Polizeidirektor noch einen Witz gemacht, der ziemlich faul war und nach Kuhstall roch… Laduner? Ernst Laduner? Ein Psychiater? Studer hatte die Hände hinter dem Kopf verschränkt und starrte zur Decke. Man kannte doch einen Dr. Laduner, aber wo und bei welcher Gelegenheit hatte man die Bekanntschaft dieses Herrn gemacht? Denn – und das war das Merkwürdigste an der Sache – der Herr Dr. Laduner hatte nach dem Wachtmeister Jakob Studer gefragt, wenigstens hatte der Polizeidirektor dies behauptet. Und am Telephon hatte der Polizeidirektor nach dieser Mitteilung natürlich erklärt, er begreife das gut, Studer sei dafür bekannt, daß er ein wenig spinne, kein Wunder, daß ein Psychiater gerade ihn wolle… Das konnte man als Schmeichelei auffassen. Studer stand auf, schlurfte ins Badezimmer und begann sich zu rasieren. Wie hieß nur schon der Direktor von Randlingen? Würschtli? Nein… Aber ähnlich, es war ein I am Ende… – Die Klinge schnitt nicht recht, langweilig, denn Studer hatte einen starken Bart – … Bürschtli?… Nein… Ah ja! Borstli! Ulrich Borstli… Ein alter Herr, der knapp vor der Pensionierung stand…
    Einerseits der Patient Pieterlen, der entwichen war… Anderseits der Direktor Ulrich Borstli… Und zwischen beiden der Dr. Laduner, den man kennen sollte, und der behördlich gedeckt sein wollte. Warum wollte er behördlich gedeckt sein und ausgerechnet durch den Wachtmeister Studer von der kantonalen Fahndungspolizei?… Immer mußte man dem Studer derartig angenehme Aufträge geben. Wie verhielt man sich in einer Irrenanstalt? Was konnte man da machen, wenn die Leute hinter den Gittern hockten und sponnen? Eine Untersuchung führen?… Der Polizeidirektor hatte gut telephonieren und Aufträge geben, spaßig war das Ganze sicher nicht…
    Inzwischen war Frau Studer aufgestanden, ihr Mann merkte es, weil der Geruch von frischem Kaffee die Wohnung durchdrang.
    »Grüeß Gott, Studer«, sagte Dr. Laduner. Er war barhaupt, sein Haar zurückgeschnitten, vom Hinterkopf stand eine Strähne ab wie die Feder bei einem Reiher. »Wir kennen uns doch, wissen Sie, von Wien her…«
    Studer erinnerte sich immer noch nicht. Die familiäre Anrede erstaunte ihn nicht übermäßig, er war sie gewohnt, und er bat den Herrn Doktor sehr höflich und ein wenig umständlich, näher zu treten und abzulegen. Aber Dr. Laduner hatte nichts abzulegen. Darum ging er auch gleich ins Eßzimmer, begrüßte die Frau des Wachtmeisters, setzte sich – all dies mit einer Selbstverständlichkeit und Sicherheit, über die sich Studer wunderte.
    Dr. Laduner trug einen hellen Flanellanzug, und zwischen den Kragenspitzen seines weißen Hemdes leuchtete der dick und lasch gebundene Knoten der Krawatte kornblumenblau. Er müsse leider den Herrn Gemahl nun entführen, sagte Dr. Laduner, Frau Studer möge das nicht übelnehmen, er wolle ihn wohlbehalten wieder abliefern. Es sei da eine Sache
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