Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution
Autoren: Leo Trotzki
Vom Netzwerk:
für die Entwicklung des russischen Selbstherrschertums geschaffen? Einen solchen Kampf hat es bei uns schon wegen des Charakters unserer Städte nicht gegeben, wie es bei uns keine Reformation gegeben hat. Ist das eine Eigenart, oder ist es keine?
    Unser Handwerk verblieb auf dem Stadium der Heimarbeit, das heißt es sonderte sich vom bäuerlichen Ackerbau nicht ab. Die Reformation blieb im Stadium bäuerlicher Sekten, da sie keine Führung seitens der Städte fand. Primitivität und Rückständigkeit schreien hier zum Himmel ...
    Der Zarismus als selbständige Staatsorganisation (und dies wiederum nur verhältnismäßig, in den Grenzen des Kampfes der lebendigen historischen Kräfte auf wirtschaftlicher Basis) wuchs empor nicht dank dem Kampfe mächtiger Städte gegen mächtige Feudale, sondern trotz der völligen industriellen Blutarmut unserer Städte und dank der Blutarmut unserer Feudalen.
    Polen stand seiner sozialen Struktur nach zwischen Rußland und dem Westen, wie Rußland zwischen Asien und Europa. Den polnischen Städten war das Zunfthandwerk weitaus bekannter als den russischen. Aber es gelang ihnen nicht, sich derart zu erheben, um der Königsmacht zu helfen, die Feudalen zu besiegen. Die Staatsmacht blieb unmittelbar in den Händen des Adels. Die Folge: völlige Ohnmacht des Staates und sein Zerfall.
    Was über den Zarismus gesagt ist, gilt auch für Kapital und Proletariat: unbegreiflich, weshalb Pokrowski seinen Zorn nur gegen das erste Kapitel richtet, das vom Zarismus handelt. Der russische Kapitalismus hat sich nicht vom Handwerk über die Manufaktur zur Fabrik entwickelt, weil das europäische Kapital, und zwar anfangs in Form des Handelsund später in Form des Finanz- und Industriekapitals, sich in jener Periode auf uns warf, wo das russische Handwerk in seiner Masse sich noch nicht vom Ackerbau losgelöst hatte. Daher das Auftreten der modernen kapitalistischen Industrie in Rußland im Umkreis wirtschaftlicher Primitivität: eine belgische oder amerikanische Fabrik, und ringsherum Siedlungen, Dörfer aus Stroh und Holz, die alljährlich abbrennen, und so weiter. Die allerprimitivsten Anfänge und die allerletzten europäischen Fortschritte. Daher - die gewaltige Rolle des westeuropäischen Kapitals in der russischen Wirtschaft. Daher - die politische Schwäche der russischen Bourgeoisie. Daher - die Leichtigkeit, mit der wir mit der russischen Bourgeoisie fertig wurden. Daher - die weiteren Schwierigkeiten, als sich die europäische Bourgeoisie in die Sache einmischte ...
    Und unser Proletariat? Ist es durch die Schule der mittelalterlichen Brüderschaften der Handwerksgehilfen gegangen? Besitzt es die jahrhundertealten Traditionen der Zünfte? Nichts davon. Es wurde vom Holzpflug losgerissen und unmittelbar an den Fabrikkessel geworfen ... Daher - das Fehlen konservativer Traditionen, das Fehlen von Kasten im Proletariat selbst, die revolutionäre Frische und daher, neben anderen Gründen, der Oktober, die erste Arbeiterregierung der Welt. Aber daher auch Analphabetismus, Rückständigkeit, Mangel an Organisationsgewohnheiten, an Systematik bei der Arbeit, an kultureller und technischer Erziehung. Wir spüren all diese Mankos in unserem wirtschaftlichkulturellen Aufbau auf Schritt und Tritt.
    Der russische Staat prallte wiederholt mit den militärischen Organisationen der Westnationen, die auf einer ökonomisch, politisch und kulturell höheren Basis standen, zusammen. So stieß auch das russische Kapital bei seinen ersten Schritten mit dem viel entwickelteren und mächtigeren Kapital des Westens zusammen und geriet unter dessen Führung. Und so fand auch die russische Arbeiterklasse bei ihren ersten Schritten fertige, von der Erfahrung des westeuropäischen Proletariats ausgearbeitete Waffen vor: die marxistische Theorie, die Gewerkschaften, die politische Partei. Wer Wesen und Politik des Selbstherrschertums nur mit den Interessen der russischen besitzenden Klassen erklärt, der vergißt, daß es außer den rückständigen, ärmeren und ungebildeteren Ausbeutern Rußlands auch die reicheren, mächtigeren Ausbeuter des Westens gegeben bat. Die besitzenden Klassen Rußlands waren gezwungen, mit den, feindlichen oder halbfeindlichen, besitzenden Klassen Europas zusammenzustoßen. Diese Zusammenstöße vollzogen sich vermittels der Staatsorganisation. Diese Organisation war das Selbstherrschertum. Die gesamte Struktur und Geschichte des Selbstherrschertums wäre eine andere geworden, hätte es
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher