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Schwaben-Messe

Schwaben-Messe

Titel: Schwaben-Messe
Autoren: Klaus Wanninger
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1.
    Als sie das Bellen des Hundes zum ersten Mal wahrnahm, lag die Umgebung des Hauses noch im Dunkeln. Sie verharrte noch eine Weile im Halbschlaf, die Traumwelt vermischte sich eine Zeit lang mit der Wirklichkeit: Draußen, an den Rollläden, rüttelte der Wind, schleuderte die halb geschlossenen Elemente mit harten Schlägen hin und her und ließ im Abflauen das Kläffen des Tiers wieder deutlich werden.
    Langsam tauchte sie aus dem Dämmerreich des Unbewussten auf. Sie hatte geträumt, lange und intensiv, und anscheinend ungezählte Male das Gleiche.
    Die Hütte brannte, Flammen loderten, riesigen Fackeln gleich, am Holz der Wände hoch. Ziegel prasselten vom Dach, knallten auf die Steine des Hofes, zersprangen in tausend Teile.
    Sie lagen im Schatten hinter dem Haus, starrten auf die Tür, lauschten auf die Geräusche aus dem Inneren. Der Himmel war dunkel in dieser kühlen Herbstnacht, Kälte lag in der Luft. Sie hielt den dicken Ast fest in der Hand, beobachtete den Widerschein des Feuers an der Hauswand. Die Hütte war alt, bestimmt vor mehr als einem halben Jahrhundert errichtet. Sie bestand aus einfachem Holz, dünnen, längst im grellen Licht der Sonne ausgebleichten Brettern, enthielt leere Kisten, vergammelte Kartonagen und Papiere, altes, teilweise schon vermodertes Holz, Überreste verrosteter landwirtschaftlicher Geräte. Stücke von Wert waren nicht darunter. Zwischen der brennenden Hütte, dem Wohngebäude und dem Stall erstreckte sich ein weitläufiger, mit kantigen Pflastersteinen ausgelegter Hof. Die Gefahr, dass das Feuer übersprang, war gering.
    Sie wussten, dass er im Haus war, allein. Zwei Tage und zwei Nächte hatten sie das abgelegene Anwesen ausgespäht, genau überwacht. Er hauste zurzeit hier, hatte sich mit einem großen Vorrat an Lebensmitteln, Bier, Schnaps und Zigaretten zurückgezogen. Soweit sie es überblicken konnten, saß er den größten Teil des Tages in und vor dem Gebäude, trank von seinen alkoholischen Vorräten, drehte das Radio an, hörte Musik. Halb betrunken war er mehrfach in den Hof getorkelt, hatte sich breitbeinig mitten auf die Pflastersteine gestellt, seine Hose nach unten gezogen, dann kreuz und quer auf die kantigen Quader uriniert. Manchmal stand er so unter Druck, dass die Zeit nicht mehr reichte, sich von der Hose zu befreien: Mit Widerwillen und Ekel hatten sie dann beobachtet, wie ihm die Brühe in die Hose lief und den schmutzigen Stoff dunkel färbte. Fluchend war er ins Innere des Hauses zurückgekehrt, drinnen ein wildes Gebrüll ausstoßend.
    Einmal, am späten Nachmittag, hatten sie sich voller Angst aufs nahe Feld zurückgezogen und dort in einer Ackerfurche in den Boden geduckt. Stark angetrunken war er auf dem Hof erschienen, hatte leere Schnaps- und Bierflaschen dort deponiert und sie dann mit seinem Gewehr zu treffen versucht. Sein Alkoholpegel war so hoch, sein Gehirn dermaßen in Schnaps getränkt, dass die Kugeln jämmerlich in alle Himmelsrichtungen zischten und Querschläger die gesamte Umgebung zu einem lebensgefährlichen Schlachtfeld werden ließen.
    Jetzt aber lag er im Haus und schlief immer noch. Sie starrte zu ihrer Freundin und sah, dass diese den Kopf schüttelte. Die Luft war kalt, der Boden feucht. Sie spürte aufkommende Schmerzen in ihrer Hand und ihrem Arm, hatte Angst, dass diese taub, bewegungsunfähig werden könnten, vielleicht genau in dem Moment, wo es endlich notwendig wurde, sie zu gebrauchen.
    Als sie wieder über den Hof spähte, zerbarst das winzige, schmale Hüttenfenster mit lautem Knall in der Hitze. Der Schlag hallte wie ein Gewehrschuss zwischen den Gebäuden. Wenn er jetzt nicht wach wurde, gab es keinen anderen Weg: Sie mussten selbst ins Haus, die Sache dort erledigen.
    Die Flammen loderten hoch, weit über die Hütte hinaus, scheinbar bis zum Himmel. Teile des Daches torkelten brennend und Funken sprühend durch die Luft, schlugen wenige Schritte neben ihr auf den Boden. Eine Wolke von Ruß, beißendem Qualm und höllischer Hitze hüllte sie ein. Wurde er immer noch nicht wach, hatte er das Feuer nicht bemerkt?
    Plötzlich hörte sie das Geräusch. Scharrende Füße, ein krächzender Bettrost, kullernde Flaschen, dann die Stimme, schreiend, fluchend, schimpfend. Sie nickte ihrer Freundin zu, packte den Ast noch fester. Ihre Finger schmerzten, das Herz pochte. Er musste jetzt aus dem Haus kommen, die Hütte zu retten, zumindest um den Schaden zu begutachten. Die Qualmwolke voller Ruß und Staub trieb über
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