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Gesang der Rosen

Gesang der Rosen

Titel: Gesang der Rosen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sich auslief in der scheinbaren Unendlichkeit der Rhône, die fern am Horizont mit dem blaßblauen, flimmernden Himmel verschmolz. Haß und Verachtung waren ihm fremd – von ihnen war wohl zu lesen in Büchern, und ihre Begriffe konnten seine Phantasie beschäftigen, aber in seinem Leben besaßen sie keine Wirksamkeit und wandelten sich höchstens in Trotz und Einsamkeit um.
    Oh, Einsamkeit kannte er! Wenn er allein durch die Gegend streifte, nur den Geruch der Erde und der Pflanzen um sich, wenn er auf einem seiner geliebten Hügel lag und die brennenden Gedanken mit den Bildern glänzender Vergangenheit veredelte, dann spürte er manchmal in der Brust eine große Leere, verbunden mit dem verzehrenden Wunsch, um sich einen Menschen zu haben, dem er den Traum seines Wesens anvertrauen durfte, einen Menschen, der ihn verstand, ihm wissend in die Augen sah und nickte. Nur nickte, sonst nichts, nur nickte, er brauchte ja nicht einmal ein Wort zu sagen. André wäre ja so zufrieden gewesen mit dem zartesten Hinweis auf sein Ich.
    Ja, diese große Leere nannte er nun Einsamkeit. Selbst der Gedanke an Jeanette, an ihre schwarzen Augen, an das Streicheln ihrer Hände, an das Lächeln, bei dem zwischen den vollen Lippen ihre Zähne weiß und lockend glänzten, selbst das noch nicht ausgelotete Glück, das er empfand, wenn er ihren heißen Körper neben sich sitzen spürte, verdeckte nicht das drückende Gefühl, daß um ihn eine Welt lag, die ihn nicht verstand, hohl, phantasielos, leer im Alltag, ausgepumpt, verroht, ernüchtert.
    Doch Haß und gar Verachtung? Nein! Verachten sollte man den, der eine Seele nicht versteht? Warum verachten? Lieben war herrlicher, und Liebe bezwang Festungen, gegen die von Haß und Gewalt vergeblich angestürmt wurde, und hinter der Liebe lag die sonnige Weite der Erfüllung und das Aufgehen in dem, was der Sinn des Lebens ist: das Menschliche.
    Und doch – da stand es, in den Stein gemeißelt, roh und feucht, und die Jahrhunderte vermochten es nicht zu löschen – ›spernere se sperni‹ – die Zeilen irdischer Verachtung!
    André Tornerre ergriff die Lampe und ging noch einmal zu dem abgeblätterten Mosaik, betrachtete sinnend die Konturen des Ritters und suchte einen Vers auf die Verbindung zwischen Bildnis und Schrift.
    »Es muß ein trauriger Troubadour gewesen sein, der diesen Spruch zu seinem Bild wählte«, murmelte er und schüttelte seinen Jungenkopf mit den wirren Haaren, in denen er während des Denkens mit nervösen Händen wühlte. »So schlecht kann eine Welt nicht sein, daß sie den Menschen fortführt von der Liebe«, flüsterte er und fuhr mit den Fingerspitzen vorsichtig über die kleinen, viereckigen Steine des Mosaiks. »Du hast dich geirrt, guter Ritter, du hättest die Verachtenden lieben müssen.«
    André stellte die Lampe auf den feuchten, glitschigen Steinboden vor dem Mosaik und wanderte in der Gruft langsam hin und her. Sein langer Schatten begleitete ihn an den Wänden, wechselte Größe und Gestalt, verschwamm in der Ecke, in welcher das schläfrige, ewige Tropfen seit Jahrhunderten den Stein höhlte, und kam dann wieder aus dem Dunkel zurück. Beide Hände zu Fäusten geballt, so schritt der Küsterjunge in dem dumpfen Raum auf und ab und rang mit seiner Seele um die ängstliche und schmerzliche Erkenntnis, ob wirklich alles, was auf dieser Welt besteht, im letzten sich vor einer Liebe beugt.
    Natur und Tier gehorchen dem Gesetz des Schöpfers, allein der Mensch sprengte die Maße der Gegebenheiten und lud die finsteren Götter in der Brust zum gleichen Gastmahl wie die lichten. Da waren seine Brüder, groß und jung, sie rissen Stiere an den Hörnern auf das Gras der Weiden und trugen Fuder Heu auf ihren breiten Rücken in die Scheunen. Sie schäkerten mit den Mägden in den Büschen, und ihre Augen wurden blank, wenn sie die Arme dehnten, um eine süße Last hinauf ins knisternde Stroh zu tragen.
    Und eines Tages klang ein Horn durchs Dorf. Man lief, lief diesem Klang nach, zum Horn ertönte die Trommel, und eine Fahne knatterte im Wind, die Stimmen jugendheißer Kehlen fielen ein, die Marseillaise brauste durch die Lande, und Blumen, Blumen regneten auf bunte Helme, bis fern der Klang erstarb und nur die Tränen vom Weinen stiller Mütter und vom Schluchzen junger Bräute auf die sterbenden Blumen tropften.
    Dann schrie die Welt, sie brüllte auf und gellte, und Tausende, Millionen schrien mit und röchelten und starben, bis wieder nur der Mütter und
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