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Gesang der Rosen

Gesang der Rosen

Titel: Gesang der Rosen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Gedanken, Andrés Hinterteil zu versohlen, nie ausführen würde. »Ich geh' zu Tornerre und sag' ihm, daß ich dir den Verkehr mit dem Schwärmer verboten habe! – ›Laßt die Hörner fröhlich klingen …‹«, deklamierte er und rollte drohend die Augen, was bei ihm jener Ausdruck seines Mißfallens war, bei dem die Gesellen in der Werkstatt zu schwitzen begannen. »Eine hinter die Ohren bekommt er, daß ihm der Schädel fröhlich klingt!« brüllte er, als er sah, daß Jeanette unbeeindruckt schien und den liebevollen Blick nicht von dem Blatt Papier mit den großen Buchstaben wandte. »Gib den Wisch her! Sofort!«
    »Nein, Vater«, antwortete Jeanette ruhig und sah ihn mutig an.
    Tergnier verschlug es die Sprache. Auflehnung gegen den Willen des Vaters hatte es in diesem Haus, solange er denken konnte, noch nicht gegeben. Die absolute Gültigkeit des väterlichen Wortes war den Generationen mit der Hoheit Gottes zusammen gelehrt und – wenn nötig – eingebläut worden. Was den alten Schmied jedoch völlig aus dem Gleichgewicht brachte, war die Ruhe, die Gelassenheit, mit der Jeanette diese Revolution vom Zaun brach. Es lag nicht in der einfachen, geraden Natur des Schmiedes, diese Unvermeidbarkeit der Auflehnung vorausgesehen zu haben, so daß er auf sie vorbereitet gewesen wäre. Vielmehr fand er sich ganz plötzlich seiner fünfzehnjährigen Tochter gegenüber, die ruhig »Nein, Vater« sagte und damit eine Grenze setzte zwischen sich und väterlicher Machtausübung.
    Tergnier schwankte innerlich nur einen Augenblick, dann brüllte er mit voller Stimme los. In der Küche bekreuzigte sich seine Frau dreimal rasch. Der Schmied stürzte auf seine Tochter zu, mit beiden Händen nach ihr greifend.
    Jeanette war aufgesprungen und machte sich die Barriere des breiten Tisches zwischen ihr und dem Vater zunutze. Sie lief um das Möbelstück herum, der Vater folgte ihr wie ein wütender Stier.
    »Wenn du mich schlägst«, rief sie, »laufe ich weg! Rühr mich nicht an, Vater … laß mir das Gedicht … ich laufe sonst weg!«
    Er hielt inne.
    Erregt atmend stand sie ihm gegenüber, jeden Moment bereit, den Rundlauf wieder aufzunehmen, falls sich das als nötig erweisen sollte.
    »Weglaufen willst du?« keuchte der Schmied. »Wegen diesem Laffen?«
    »Wegen dir!« antwortete ihm Jeanette kühn. »Ich lasse mich nicht mehr schlagen, auch von dir nicht mehr!«
    Dem Schmied blieb der Mund offenstehen, und er betrachtete, vielleicht zum erstenmal, genauer seine Tochter. Er sah die jungen Brüste sich unter dem Kleid abzeichnen, sah die runden Hüften und die geschwungene Linie der Schenkel, sah die vollen, roten Lippen, die heißen, fast schwarzen Augen und die Locken, die sich beiderseits dicht auf ihren Schultern sammelten. Die Worte fehlten ihm, er kratzte sich den breiten Schädel. Mit einem Knurren drehte er sich plötzlich um, stampfte aus dem Zimmer und begab sich in die rußende Werkstatt.
    »Verdammt noch mal«, brummte er vor sich hin, »wo hatte ich meine Augen? Die Jahre fliegen ja, und man merkt es gar nicht. Trotzdem, eine solche Respektlosigkeit hätte es früher nie gegeben. Wie soll das nun weitergehen?«
    Mit diesem Problem im Kopf stand er dann den ganzen Tag in seiner Werkstatt, und die Gesellen hatten gute Stunden und flüsterten, der Schmied müsse eine Krankheit in den Knochen haben, denn seine plötzliche Duld- und Schweigsamkeit seien etwas Selteneres als Schnee und Eis im Mai.
    *
    In ihrem Zimmer saß Jeanette und las noch einmal das Gedicht.
    André, dachte sie, warum hast du in der Nacht nicht ans Fenster geklopft? Wie schön und brennend wäre deine Stimme gewesen, wenn du – leise natürlich – die Verse selbst gesprochen hättest. Und deine Augen hätten dann geglänzt, und eine Angst hätte mich befallen, eine Angst, die doch nichts anderes gewesen wäre als eine Scheu vor tausend ganz geheimen Dingen. Ach André, die Sonne brennt so heiß auf deine Hügel. Die Weite lockt dich fort, dem Silberband der Rhône folgt deine Phantasie, und wenn dein Blick hinausgeht über die Provence, dann liegt dein Arm wohl warm um meine Schultern, aber deine Seele ist mir fern.
    Soll ich in dieser Nacht das Fenster offenhalten? Sieh, André, dann ist schützendes Dunkel um uns, du fühlst nur mich, und zwar so nah, daß du nicht mehr an die Weite denkst. Und kehrst du dann zurück zu deinen Troubadouren – o André, sing von mir und vergiß in deiner Welt nicht jene, die dich zu dieser Welt erst
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