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Gesang der Rosen

Gesang der Rosen

Titel: Gesang der Rosen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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der Bräute Schluchzen ertönte und Fluch den letzten Halt des Menschlichen zerstörte. Auch Andrés Mutter fluchte, diese stille, zarte Yvonne Tornerre, sie schrie zweimal gellend auf und lästerte, hob die geballte Faust zur Sonne, drohend, zitternd, die Nägel in die Ballen pressend. Die Knöchel schimmerten weiß durch die Haut, die Adern auf dem Handrücken schwollen blau an, und Yvonne Tornerre schrie in den lachenden Himmel mit irren, flackernden Augen: »Mörder! Mörder du! Du Gott – Mörder!«
    Und sie brach zusammen unter der Last dieses Fluches, so daß Marcel Tornerre sie weinend ins Haus tragen und auf das Sofa betten mußte.
    Der Mutter wurden dann die Haare weiß; es waren nur zwei Wochen, die von diesem Vorgang in Anspruch genommen wurden. Der Vater wurde stiller, saß oft allein im Garten auf der Bank und sann in das Abendrot hinein, das in der Rhône untertauchte. Er ging bedächtiger umher und las nun noch öfters in der alten, gelben Bibel – doch Haß, Verachtung sah der Junge nie, es sei denn, daß der Vater sagte, Kriege seien teuflischer als Teufel.
    André Tornerre blieb stehen, sah den Spruch des Mosaiks an und lächelte.
    »Wir wollen einen Pakt miteinander schließen«, sagte er, »denn mit dem Denken allein ist diese Welt nicht zu erfassen. Ich bin noch jung – ich will hinaus, das Leben in all seiner Vielfalt kennenlernen. Ist dieses Leben wert der Liebe, dann, edler Ritter, ist dein Spruch nur eine Lüge, und ich werde ihn mit diesen Händen hier aus dem Stein hauen. Doch hast du recht, dann kehre ich zu dir zurück und beuge mich dem Rat, den du Jahrhunderte für uns aufbewahrtest: spernere se sperni – verachte, daß du verachtet wirst!«
    Mit einem Ruck riß André die Lampe hoch und schwenkte sie so erregt, um sein Haupt, daß sie flackerte und zu blaken begann.
    »Noch aber bin ich jung!« rief er, und der jubelnde Schall seiner hellen Stimme brach sich an dem morschen Gemäuer. »Noch ist in mir die Welt, noch trage ich sie hier in meinem Herzen, und du und Tergnier und Abbé Bayons und alle, alle könnt ihr sie mir nicht aus meiner Brust reißen! Oh, das ist schön, herrlich, göttlich! Das ist Leben, das ist Weite, Sehnsucht, Natur und Wirklichkeit der Träume!«
    Und mit einem raschen Griff nahm er das Heft vom Rand des Taufbeckens, hielt Lampe und Papier beieinander und las mit lauter, fast jauchzender Stimme, wobei er ab und zu einen triumphierenden Blick auf den schweigsamen, abblätternden, verfallenden Ritter warf:
    Laßt die Hörner fröhlich klingen,
seht, mein Roß stampft schon im Sand,
schmückt mit Blüten mir den Helm,
denn ich reite weit ins Land.
    Euer Lob, erlauchte Frauen,
tönt bald hell in aller Mund,
und ich streite Euch zu Ehren
heiß in der Turniere Rund.
    Fällt mich eine starke Lanze,
ist's um eurer Schönheit nur,
dann gedenkt in stiller Stunde
einmal auch des Troubadour.
    Mit einem Lächeln des Sieges auf den Lippen klappte er sein Heft zu, nickte dem Ritter noch einmal fröhlich zu, drehte den Docht herunter und stieg die bröckelnde Treppe zum Altar hinauf. Dort blies er die Lampe aus, schob sich zwischen den Bänken hindurch und schlüpfte durch die einen Spaltbreit geöffnete, leise knarrende Kirchentür.
    Lauschend blieb er am Eingang stehen, sah den Markt und die Häuser schwarz und bizarr im fahlen Nachtlicht liegen, nickte und trat aus dem Dunkel der Türnische.
    Lautlos glitt sein Schatten unter den Zypressen über dem Platz, ein fliegender Spuk, der im Schwarz der Häuser verschwamm und sich auflöste.
    Still und einsam lag die Kirche unter den wispernden Zypressen, und um sie herum dehnte sich Carpentras, die glückhafte Stadt, und träumte.
    Und ihre Träume waren Jahrhunderte singender Liebe …
    *
    In dem gutbürgerlich ausgestatteten Wohnzimmer im Haus des Schmiedes Jean Tergnier gab es am nächsten Morgen eine kurze, dafür aber um so lautstärkere Auseinandersetzung. Man hatte beim Aufstehen ein Blatt Papier auf der Fensterbank von Jeanettes Schlafzimmer gefunden, einen Bogen mit einem kurzen Troubadourlied, und nun brüllte der Schmied, daß die Wände wackelten und die Hausfrau sich in der Küche verkroch.
    Jeanette, die wie ihr Vater wußte, von wem dieser nächtliche Liebesgruß stammte, saß mit gesenktem Haupt hinter dem Kaffeetisch auf dem breiten Sofa und hatte die gefalteten Hände in den Schoß gelegt.
    »Den Bengel haue ich durch!« schrie Tergnier und schüttelte dabei die Faust, wohl wissend, daß er den herrlichen
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