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Gesang der Rosen

Gesang der Rosen

Titel: Gesang der Rosen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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und stärkt die Muskeln.«
    »Ja, Vater«, antwortete André, blickte aber von seinem Teller nicht auf.
    »Und ich brauche für den Winter einige Stapel Holz«, sagte sanft Yvonne. »Die könntest du mir auch hacken, André, das würde denselben Zweck erfüllen.«
    »Ja, Mutter«, erwiderte André und fuhr fort, seine Suppe zu löffeln.
    Und man schwieg wieder und aß weiter, schob endlich die Teller zurück, und der Küster setzte seine Kappe auf.
    »Ich muß die Mahlzeit ausläuten«, sagte er dann und fragte seinen Sohn: »Kommst du mit, André? Magst du heute mal das Seil ziehen?«
    Und als der Junge nickte und vom Stuhl aufstand, schob Marcel seinen Arm unter den seines Sohnes, blickte ihn lächelnd an und setzte hinzu: »Anschließend gehen wir hinters Haus und setzen uns auf die Bank. Und dann erzählst du mir von deiner Reise nach Paris und deinen Troubadouren.«
    »Ja, Vater, ja!« rief André, und seine Augen glänzten, während er den Arm des Küsters an sich drückte und nochmals glücklich sagte: »Ja, Vater.«
    *
    Wie ein schwarzer Steinwürfel mit einer spitzen Haube, so lag die Kirche neben dem Küsterhaus im Dunkel der warmen Sommernacht da. Die am Tag blaugrünen Zypressen, die rund um den Kirchplatz standen, sahen aus wie greifbar gewordene Schatten, raschelten und wiegten ihre Kronen, und der gebleichte Sand des Marktes schimmerte mattgrau im verschwimmenden Licht vereinzelter, zwischen den ziehenden Nachtwolken hervorblinkender Sterne. Ein Geruch von dürrem Gras hing in der Luft, und die heiße Erde schien den glühenden Atem des Tages stoßweise wieder auszuhauchen. Der Boden war warm. Wenn man die Hand auf ihn legte, zerbröckelte er und staubte unter den Fingern. Auf den Ackern standen wie schwarze Klötze die Bauernwagen. Irgendwo blökten Schafe in ihren Pferchen. Nur wenige Lichter flackerten noch hinter helleren Fenstern, dort, wo die Heimarbeiter die Nacht zu rastloser Arbeit nützten.
    Um den Markt herum herrschte die Stille der Nacht. Das Licht im Schlafzimmer des Abbé Bayons war ausgegangen, das Küsterhaus träumte im Schatten einiger Zypressen. Plötzlich öffnete sich die Gartenpforte einen Spalt, ein wieselschneller Schatten huschte heraus, glitt zur Mauer der kleinen Kirche und wurde von der Nacht aufgesogen, als habe es ihn nie gegeben. Nur ein leises Knarren durchbrach für einen Augenblick die Stille, dann lag der Marktplatz wieder ohne jeden Laut und jede Bewegung da.
    Unter der kleinen, alten Kirche hatte man vor Jahren den Altarraum einer jahrhundertealten Kapelle ausgegraben, ein kleines Kreuzgewölbe mit vielen Nischen und abgeblätterten Mosaiken, mit Plattenboden und einem ausgehöhlten Stein, den der Abbé Bayons zu einem Taufbecken ernannte. Einige Sprüche in einem fremden altfranzösischen Dialekt waren rundherum an den Wänden in den Stein gehauen, in groben und ungleich großen Buchstaben, als habe eine ungelenke, trotzdem aber beseelte Hand den Meißel geführt. Heute war dieser alte Altarraum ein Anziehungspunkt für fremde Besucher, zumal der geschäftstüchtige Abbé noch einige Skulpturen hatte anbringen lassen, welche die Wirkung der Ausgrabung auf Laien erhöhten.
    Eine steile, morsche Steintreppe führte hinter dem Altar der Kirche hinab in die Gruft der Erinnerungen. Eine leichte Holztür mit einem einfachen Riegel versperrte den Weg; eigentlich schützte allein das an sich hinter einem Altar überflüssige Schild ›Betreten verboten‹ die Gruft vor frevelndem Eindringen.
    In dieser Nacht stand die Tür offen, und der fahle Widerschein einer Stallampe glitt über die bröckelnden Stufen zur Rückwand des Altars, an die angelehnt die langen Stiele der samtenen Klingelbeutel standen. Unten im Kreuzgewölbe hockte auf einem zusammenklappbaren Feldstuhl neben dem Taufbecken der Küsterjunge André Tornerre, hatte ein Heft auf den breiten Rand des behauenen Steines gelegt und schrieb mit bedächtigen Federzügen Vers um Vers auf das linierte Papier. Das Flackernde, Heiße seines Wesens war verschwunden, eine kühle, fast andächtige Ruhe kam in der Haltung seines Körpers zum Ausdruck. Die unsteten Finger, am Tage flatternd, hielten die Feder fast graziös und führten sie in kleinen Bögen und Schnörkeln über das Papier. Seine Augen freilich hatten die sprunghafte Beweglichkeit behalten und blickten abwechselnd auf das Papier und in eine der halbdunklen, feuchten Ecken, zwischen Sinnen und Erkennen wechselnd.
    Die Luft in der alten Kapelle war kühl,
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