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Gesang der Rosen

Gesang der Rosen

Titel: Gesang der Rosen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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zu ziehen oder eine Pflugschar zu schmieden, aber im Bereich der Seele und im Labyrinth der wechselnden Gefühle war er ein Blinder. Sein Wesen war einfach, es ließ sich in Schwarz und Weiß zerlegen und kannte nicht die Nuancen der Farben. Simpel wie sein Wesen, war auch der Marsch durch die Fährnisse seines Lebens. Entweder formte es sich in seinen Händen, oder es zerbrach.
    Und doch spürte er heute, selbst erstaunt über die späte Erkenntnis, daß es im Leben noch etwas anderes gab als nur ein Links oder Rechts, daß verschlungene Wege existierten, Pfade, die im Dickicht endeten und einem die Wahl ließen, umzukehren oder die hinderlichen Büsche zu roden; er spürte, daß die Kraft nicht allein in den Armen lag, sondern geheimnisvoll und tief verborgen auch in jenem unfaßbaren Etwas, das die Menschen Seele nennen.
    »Ich will einmal mit André sprechen«, erklärte Tergnier nach längerer Pause, in der er nachgedacht hatte. »Du hast doch nichts dagegen, Marcel?«
    »Nein, Jean. Aber bleib vernünftig. Wenn du den Jungen anbrüllst, sagt er dir kein Wort.«
    »Du sollst dabei sein«, antwortete Tergnier und wunderte sich, daß er so ruhig war. »Ich will ihn fragen, wie er eigentlich sein Leben sieht und wo es hinführen soll. Hast du das nie getan?«
    Der Küster schaute seine Frau an, aber Yvonne blickte beharrlich in den Kessel, in dem die Suppe brodelte. Ihr weißes Haar glänzte matt, und ihre Hände zitterten ein wenig beim Rühren.
    »Nein«, erwiderte Marcel Tornerre langsam, am Schmied vorbeiblickend. »Nein, ich will André ein möglichst großes Maß an Eigenverantwortung zugestehen. Er selbst soll seinem Leben die Richtung geben können, die ihm vorschwebt. Letzten Endes spricht ja immer Gott dabei das entscheidende Wort mit, vergiß das nicht, Jean. Daran änderst du nichts – und ich auch nicht.«
    Im Flur wurden Schritte laut. Die Küsterin sah von ihrem Kessel auf und wollte aus dem Zimmer eilen, doch da öffnete sich schon die Tür, und André trat ein, erhitzt und rasch atmend vom schnellen Lauf. Er hielt ein verrostetes halbes Hufeisen von verwunderlicher Schmiedeform in der Hand.
    »Gesegneten Mittag«, sagte er ein wenig beklommen, als er den Schmied im Zimmer sitzen sah und dadurch an die auf dem Hügel zurückgelassene Jeanette erinnert wurde. »Habt ihr schon lange auf mich gewartet?«
    »Das Essen ist gerade erst fertig«, antwortete Yvonne schnell, ehe Marcel oder Tergnier eine Entgegnung finden konnte, und verschwieg dabei, daß sie die Töpfe schon mehrmals vom Feuer genommen und zur Seite gestellt hatte, um nichts verkochen zu lassen.
    »Wo ist Jeanette?« fragte der Schmied nun und blickte den Jungen verärgert an, der mit blanken Augen ihm gegenüberstand.
    »Sie wird jetzt auch zu Hause sein«, erwiderte André. »Ich habe noch einen Umweg über die Kiesgrube mit ihren Ausschachtungen gemacht. Und dabei fand ich das hier.« Er streckte die Hand mit dem Hufeisen aus und zeigte es dem Schmied. »Es lag im Kies eingebettet, ein paar Meter unter der Oberfläche. Es sieht wie ein Hufeisen aus, aber die Form ist so merkwürdig, ist Ihnen so etwas schon untergekommen?«
    Damit überreichte er Tergnier das halbe Hufeisen. Der Schmied drehte es in seinen Händen hin und her, schüttelte brummend den Kopf, hielt es gegen das Licht, rieb etwas Rost vom Eisen, wog das Stück wippend auf der flachen Hand und schüttelte dann wieder den Kopf.
    »Ein leichtes Eisen, und klein. Kaum für ein Fohlen. Außerdem beschlägt man Fohlen nicht. Im Kies lag es, sagst du? Hm, naja, die Pferde mögen damals anders ausgesehen haben.«
    »Damals?« Der Junge nahm das Eisen wieder an sich und betrachtete es verzückt wie ein kostbar funkelndes Kleinod. »Damals? Vielleicht, als die Troubadoure durch die Lande trabten? Vielleicht auf Pferden aus Arabien, auf kleinen maurischen Pferden aus Granada oder Valencia? Auf Pferden mit silbernem Zaumzeug und purpurner Satteldecke?«
    »Blödsinn!« polterte der Schmied los. »Hirngespinste! Träumereien! Verdreh mir damit bloß nicht auch meinem Mädel den Kopf! Der Satan soll dich holen!«
    Als er jedoch sah, wie der Küster Tornerre mißbilligend den Kopf schüttelte und wie in den Augen Andrés der Trotz wie ein Funken aufglomm, biß er sich auf die wulstige Unterlippe und nestelte an dem weichen Kragen seines über der haarigen Brust offenstehenden Hemdes.
    »Seid ihr wieder auf den Hügeln gewesen?« fragte er André.
    »Ja. Wir haben die Rhône sehen
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