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Gesang der Rosen

Gesang der Rosen

Titel: Gesang der Rosen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sich zu der staunenden Jeanette hinüber und fuhr fort: »Hier in der Gegend, in der Provence, lebten nämlich die Troubadoure, weißt du, junge, lustige und feurige Ritter, die von Burg zu Burg zogen, die Schönheit der Frauen besangen, für die Ehre der Frauen stritten und berühmt und reich wurden. Minne nennt das Ganze der Abbé Bayons und schimpft darüber. Ich aber finde es herrlich, wie das war, auf einem wilden Roß von Burg zu Burg zu ziehen, zu singen und zu streiten und die ganze Welt zu lieben, die unter den Hufen eines Pferdes lag. Gäbe es das heute noch, würde ich dich als die schönste der Frauen besingen und deinen Ruhm in alle Lande tragen. Dann würde man mich in Avignon, in Aries, in Nimes, in St. Etienne und in Lyon fragen: ›Wer ist die Schönste deines Landes?‹ Und alle würden sie erfahren: Jeanette Tergnier, die Tochter des Schmiedes von Carpentras.«
    André hatte mit lauter, fast singender Stimme gesprochen und betrachtete nun verzückt und erhitzt das weite Land, über dem die heiße Luft flimmerte.
    »Wäre das nicht herrlich, Jeanette?« fragte er.
    Sie blickte ihn stumm mit ihren großen Augen an und fürchtete sich. War dies noch André, der Küsterjunge? War dies der stille, fast zu stille Spielgefährte, der stundenlang am Mühlenbach saß und dem Wiegen der Algen im Wasser zusah? Scheu rückte sie noch ein wenig weiter von ihm ab und schielte zu ihm hin, voller Angst, sie könnte jeden Augenblick einen unkontrollierten Ausbruch von ihm erleben. Sie erkannte ihren André nicht wieder. Es war ein fremder Junge, der da am Rand des Hügels hockte, mit brennenden Augen in die Weite starrte und ungeduldig große Büschel Gras aus dem Boden riß und sie mit nervösen Händen zerpflückte und zur Seite schleuderte. Wirklich, sie hatte Angst vor den zitternden Lippen in dem zuckenden, fast verkrampften Gesicht, das plötzlich so männlich und reif aussah und nur noch wenig dem des Küsterjungen André Tornerre glich.
    Und die Augen … diese heißen, brennenden Augen …
    Im Tal erklang der Ton einer kleinen, hellen Glocke und durchbrach die heiße Stille, bis er sich in der Weite des flimmernden Himmels verlor.
    »Die Glocke«, sagte Jeanette aufatmend. Ihr gaben der helle Klang und ihre eigene Stimme Mut. »Dein Vater zieht jetzt am Seil. Er wird uns suchen, wenn er fertig ist.«
    Der Knabe saß mit geschlossenen Augen am Rand des Hügels und drückte das Blatt Papier fest an seine erregt atmende Brust.
    »Ich sehe den Troubadour den Schloßberg hinaufreiten«, sagte er versunken. »Vom Söller winken sie ihm zu, die Zugbrücke rasselt herab, und vom Turm ruft ihm die Glocke einen Willkommensgruß entgegen. Große rote Rosen blühen in den Gärten – Preise für das schönste Lied auf die schönste Frau. Und unter dem blauen Himmel singen selbst die Vögel die Melodie seines Herzens. – Höre, Jeanette, was der Troubadour singt, lausche dem Klang seiner Laute, der süß ist wie der Schlag der Nachtigall. Ich, der Troubadour Marcabrun, singe dir mein Lied …«
    Und indem er den linken Arm, wie wenn er eine Laute halten würde, ausstreckte und mit der rechten Hand das Zupfen der Saiten andeutete, sprach er mit schwingender Stimme in den Ton der Glocke hinein, und seine Worte woben sich ein in den heißen Atem des Windes:
    »Blütenpracht liegt wie ein Zauber
leuchtend mir im lock'gen Haar,
meiner schönsten Frauen Hände
boten ihn mir gütig dar.
    Im Turniere unbesiegbar,
in der Schlacht ein Fels im Meer,
fällt mich nur der Liebe Pfeile,
und es schützt mich keine Wehr.
    Liebe Frauen, schenkt das Lächeln
Eurer Huld dem Troubadour,
jauchzend sing' in allen Landen
ich von Eurer Schönheit nur!«
    In sich versunken, verstummte André und bedeckte sein glühendes Gesicht mit dem raschelnden Papier. Ein unverständliches Gestammel aus seinem Mund wurde dann laut.
    Bebend vor Angst, Verwunderung, Freude und Ehrfurcht saß Jeanette neben ihm. Zögernd hob sie die Hand, zuckte ein wenig zurück, doch dann fuhr sie ihm über die wirren schwarzen Haare und sagte: »Schön, André … wunderschön …«
    »Wirklich schön?« fragte er, sie anblickend. »Gefällt es dir tatsächlich?«
    »Ja.«
    »Er ist auch ein berühmter Troubadour, dieser Marcabrun. Ich habe in Vaters Lexikon nachgesehen. Von 1140 – 1185 lebte er.«
    »Und so alt ist das Lied, das du gefunden hast?«
    André zögerte einen kleinen Moment mit der Antwort, er strich über das zerknitterte Papier, bewegte stumm die zuckenden
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