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Träumst du noch oder küsst du schon?: Roman (German Edition)

Träumst du noch oder küsst du schon?: Roman (German Edition)

Titel: Träumst du noch oder küsst du schon?: Roman (German Edition)
Autoren: Alexandra Potter
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Prolog
    Venedig, Italien, 1999
     
    Die Sommerhitze legt ein flimmerndes Flirren über die Stadt, durch das Venedig aussieht wie ein zum Leben erwecktes Canaletto-Gemälde. Majestätisch erheben sich die Kuppeln des Markusdoms über die pastellfarbenen Gebäude ringsum mit ihrem abblätternden Anstrich und der maroden Eleganz. Vaporetti brummen. Touristen drängeln. Inmitten der Menschenmenge Kinder, die über den Platz laufen und Tauben aufscheuchen; rauchende Männer in schicken Anzügen und mit Designersonnenbrillen; ein Fremdenführer mit Regenschirm in der Hand erzählt einer Gruppe deutscher Touristen etwas über die Geschichte der Stadt.
    Und mittendrin zwei junge Studenten. Die ganz ohne Eile gemächlich über das Kopfsteinpflaster schlendern. Sie hat den Arm um seine Hüften geschlungen, sein Arm liegt lässig auf ihren bloßen, sommersprossigen Schultern. Sie isst gerade ein Eis und lacht über einen Witz, den er erzählt, während er an seiner Zigarette pafft, mit der freien Hand herumgestikuliert und komische Grimassen schneidet.
    Das sind Nathaniel und ich. Wir sind gerade vor einer Stunde aus dem Bett gefallen und verbringen diesen Sonntag in Venedig, wie wir jeden Sonntag in Venedig verbringen: Wir trinken Espresso, essen Eiscreme und verlieren uns in dem Fadenspiel kleiner Gassen, die das Labyrinth aus Kanälen kreuz und quer durchziehen. Den ganzen Sommer bin ich schon hier, und ich verlaufe mich immer noch. Wir verlassen den
Markusplatz, biegen in eine Gasse ein, laufen um eine Ecke, dann noch eine und noch eine, bis wir unversehens auf einem Marktplatz landen, auf dem buntes Muranoglas und venezianische Masken zum Kauf angeboten werden.
    »Hey, wie wär’s mit der hier?«
    Ich drehe mich um und sehe, wie Nathaniel sich eine Maske vors Gesicht hält. Sie ist mit langen, rosaroten Federn verziert und über und über mit goldenen Pailletten besetzt. Er verbeugt sich mit übertriebener Geste.
    »Steht dir hervorragend«, kichere ich.
    »Machst du dich über mich lustig?« Er nimmt die Maske vom Gesicht und runzelt die Stirn.
    »Ich? Niemals!« Lachend heuchele ich Empörung, während er mich mit einer Feder an der Nase kitzelt.
    »Ich dachte, die könnte ich für meine Mom mitnehmen.« Er legt die Maske weg und nimmt eine andere. Diese hat eine grotesk lange, gebogene Hakennase und kleine Knopfaugen. »Und wie wäre es mit der hier?«
    »Nein, lieber die erste. Keine Frage.« Ich schüttele mich angewidert.
    »Sicher?«
    »Aber klaro.« Ich versuche, einen breiten amerikanischen Akzent zu imitieren, doch dank meines unverkennbaren Manchester-Einschlags mit dem rollenden R wirkt das einfach bloß zum Schießen komisch, und er muss über meine stümperhaften Bemühungen laut lachen.
    »Was würde ich nur ohne dich machen?« Er grinst mich an. »Obwohl ich finde, wir müssen dringend an deinem amerikanischen Akzent arbeiten.«
    »Immer noch besser als dein englischer!«, protestiere ich empört.
    »Na, mein Täubchen, dann bring uns doch mal ’ne Schlachtplatte und ’n Ale«, entgegnet er in einer wüsten Mischung aus
Cockney und Lancashire-Dialekt, und ich pruste los, worauf er mich fest in den Arm nimmt und mit einem Kuss zum Schweigen bringt. »So schlimm?« Er tut tief verletzt.
    »Schrecklich«, erkläre ich mit gespieltem Ernst, worauf er sich umdreht und die Maske bezahlt.
    Ich stehe allein in einem kleinen Flecken Sonnenlicht und lächele stillvergnügt vor mich hin. Ich sehe kurz zu, wie er an seiner Zigarette zieht und versucht, mit dem Inhaber des Marktstands zu feilschen. Dann schweift mein Blick ab und wandert ziellos über den Markt. Ich will eigentlich gar nichts kaufen – ich habe schon sämtliche Andenken und Mitbringsel zusammen –, aber Gucken kostet ja nichts …
    Meine Augen bleiben an einem Stand hängen. Versteckt steht er in einer dunklen Ecke. Es ist eigentlich gar kein richtiger Stand, mehr ein Klapptisch, doch der alte Mann, der dahintersitzt, hat mein Interesse geweckt. Er trägt einen alten, abgewetzten Fedora und eine dicke Brille mit schwarzem Rahmen, die ganz vorne auf seiner Nase balanciert, während er angestrengt etwas unter einem kleinen Punktstrahler begutachtet. Neugierig schlendere ich rüber zu ihm, weil ich wissen will, was er da macht.
    »Buon pomeriggio bello come sei oggi.« Er schaut auf und sieht mich an.
    Ich lächele schüchtern. Was Sprachen angeht, bin ich eine totale Niete. Nach beinahe drei Monaten in Venedig, in denen ich mich intensiv mit der
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