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Galaxis Science Fiction Bd. 11

Galaxis Science Fiction Bd. 11

Titel: Galaxis Science Fiction Bd. 11
Autoren: Lothar (Hrsg.) Heinecke
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DIE ALTEN STERBEN REICH (THE OLD DIE RICH)  
    HORACE L.GOLD
 
    (Illustriert von ASHMAN)
     
    Sicher haben Sie schon von ähnlichen Fällen in der Zeitung gelesen, kurz darüber nachgedacht – und sie dann prompt vergessen. Was aber wirklich dahintersteckt, das stand bis jetzt noch in keiner dieser Meldungen.
    »ACH, Sie schon wieder, Weldon«, sagte der Polizeiarzt ergeben. Ich nickte ihm freundlich zu und schaute mich in dem schäbigen Raum voll heimlicher Erwartung um. Vielleicht würde ich dieses Mal die Antwort finden. Ich hatte das gleiche Gefühl, das mich immer an diesen Orten überkam – ein bedrückendes Gefühl der Hoffnungslosigkeit, in einem solchen Raum eingeschlossen zu sein mit seinem einzigen wackeligen Stuhl, dem altersschwachen Tisch, der müde scheinenden elektrischen Birne an der Decke, dem eisernen Bett, von dem die Farbe an vielen Stellen abblätterte.
    Auf dem Bett lag eine Frau – eine alte Frau mit weißem Haar, durch dessen dünne Strähnen die straff gespannte Haut des Schädels hindurchschimmerte. Gesicht und Körper waren so aufgezehrt, daß das Fleisch zwischen den Knochen tiefe Höhlen bildete. Der Polizeiarzt war gerade dabei, sie zu untersuchen, was er auf eine Art und Weise tat, als wäre sie ein Stück Rindfleisch, auf das er den Freigabestempel drücken müßte, wobei er halblaut vor sich hinschimpfte – über mich und Sergeant Lou Pape, der mich mitgebracht hatte.
    »Wann wollen Sie endlich damit aufhören, Weldon zu diesen Fällen mitzuschleppen, Sergeant?« grollte er voller Ärger. »Dieser Schauspieler mit seiner morbiden Neugier.«
    Zum ersten Male sah sich Lou genötigt, mich in Schutz zu nehmen. »Mr. Weldon ist ein guter Freund von mir – ich war ebenfalls Schauspieler, bevor ich zur Polizei ging –, und er ist ein Jünger von Stanislawsky.«
     

     
    Der Polizist, der den Tod der alten Frau entdeckt hatte und an der Türe wartete, drehte sich nach mir um. »Ein Roter?«
    SOLLTE Lou erklären, was die Stanislawsky-Methode in der Schauspielkunst ist. Ich jedenfalls ließ mich auf dem wackligen Stuhl nieder und versuchte, sie anzuwenden. Stanislawsky war jener große russische Theaterregisseur der Zarenzeit, der die Meinung verfocht, daß Schauspieler sich bemühen müßten, so zu denken und zu fühlen wie die Personen, die sie darstellen wollten, um sie wirklich zu sein. Ein Stanislawsky-Schüler versucht sich das ganze bisherige Leben den von ihm verkörperten Menschen zu vergegenwärtigen – bis zu dem Zeitpunkt, an dem das Stück beginnt. Wo er geboren wurde und wann, sein Verhältnis zu den Eltern, seine Erziehung, Kindheit, Jugend, seine Einstellung gegenüber anderen Männern, gegenüber Frauen, Geld, Erfolg – alles bis in die kleinsten Nebenumstände hinein. Das Stück selbst ist dann nur eine Weiterführung dieser Lebensgeschichte.
    Doch was hatte das mit der alten Frau zu tun, die da vor mir lag?
    Nun, ich hatte das Pech – oder das Glück, je nachdem, wie man es ansehen will –, mit fünfundzwanzig Jahren eine Glatze zu bekommen, und hatte von da an nur noch alte Männer gespielt – mit ziemlichem Erfolg, wie ich hinzufügen darf. Es gehört dazu mehr, als mir gebückt herumzuschlurfen und mit einer hohen zittrigen Stimme zu reden. Das mag für einen Amateur genügen. Man muß vielmehr herauszufinden versuchen, wie so ein alter Mensch wirklich ist, was er fühlt und denkt – und diese Fälle, zu denen mich Lou Pape nach langem Überreden ab und zu mitnahm, waren für mich Studienobjekte. Ich wollte sie verstehen, wollte herausbekommen, was sie veranlaßte, gerade das zu tun, was sie getan hatten, wollte den Zwang nachempfinden, der sie dazu getrieben hatte.
    Diese alte Frau, zum Beispiel, besaß 32.000 Dollar auf fünf verschiedenen Bankkonten – und sie war verhungert.
    Sicher sind Sie schon auf ähnliche Fälle in den Zeitungen gestoßen – wenigstens ein Dutzend Mal im Jahr –, und sicher haben auch Sie sich gefragt, wer diese Leute waren und warum sie es taten. Nun, Sie haben die Meldung gelesen, vielleicht eine Minute darüber nachgedacht und sie dann prompt vergessen. Mein Interesse war stärker, denn diese Fälle hatten schließlich mit meinem Beruf zu tun. Ich verdiente mir meinen Lebensunterhalt, indem ich alte Leute darstellte, und ich mußte soviel über sie in Erfahrung bringen wie nur möglich.
    So jedenfalls fing es an. Aber mit je mehr Fällen dieser Art ich mich befaßte, desto sinnloser und rätselhafter erschienen sie mir, bis
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