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Hochsommermord: Kriminalroman (German Edition)

Hochsommermord: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Hochsommermord: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Jochen Frech
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D as Unglück ereignete sich an einem der schönsten Sommertage des Jahres 1997, noch dazu an einem Sonntag.
    Es kam ohne Vorwarnung und so unerwartet wie die erste Erschütterung eines Erdbebens in der Nacht.
    Die Burg thronte wie ein Adlerhorst auf einem schroffen Felsabsatz am Ende eines weitläufigen Tals. Hunderte Meter hoch über einigen Buchenwäldern, die von oben wie die Dekoration einer Spielzeugeisenbahn wirkten.
    In den Bäumen zwitscherte eine Schwalbenkolonie, und ein Sportflugzeug durchkreuzte wie ein riesiges Insekt den wolkenlosen Himmel.
    Der Junge mit dem Bürstenhaarschnitt sah dem Flieger hinterher und zählte dabei laut rückwärts. Bei eins angekommen, trat er hinter einem großen Felsblock hervor. Er ging in die Mitte des oberen Burghofes und überlegte, wo er mit der Suche nach den Spielkameraden beginnen sollte. Dann rannte er zu einem Mauervorsprung, den er im Laufe des Nachmittags entdeckt hatte. Von hier aus konnte er einen Großteil der mittelalterlichen Anlage überblicken.
    Er kniff die Augen zusammen und suchte die Umgebung ab.
    Nichts. Noch nicht einmal ein Huschen über einen der Burghöfe oder entlang der inneren Ringmauer. Die anderen mussten sich in einem Gebäude oder hinter einem der Mauerdurchbrüche versteckt haben. Aus der Ferne hörte er leise die Stimmen der Erwachsenen, die auf einer Wiese außerhalb des Burggeländes Kaffee tranken und Kuchen aßen. Das Versteckspiel in der verwinkelten Burgruine war der spannendste Teil des Familienausflugs. Auf leisen Sohlen betrat er die Kapelle, in der er selbst in der Runde davor unauffindbar geblieben war.
    Da! Hinter einem Mauerabsatz lugte der Schuh von Dennis hervor. Leise näherte er sich dem Kameraden von hinten.
    Buh! Hab dich!
    Dennis schrie vor Schreck auf.
    Mann, hast du mich erschreckt!
    Komm, hilf mir, die anderen zu finden.
    Sie vereinbarten, Ebene für Ebene abzusuchen und dabei den anderen jede Fluchtmöglichkeit zu verbauen, indem sie abwechselnd die Steintreppen bewachten. Die einzigen Verbindungen zwischen den Innenhöfen. Kevin kam freiwillig hinter einem Dornenbusch hervor, als er die Schritte seiner Verfolger hörte.
    Spielverderber.
    Als Nächstes entdeckten sie Vanessa, die sich auf das Abdeckgitter einer Zisterne gelegt hatte. In der Tiefe hörte man das Glucksen einer Quelle.
    Kommt! Jetzt fehlt nur noch Lisa, die Angeberin!
    Lisa, das Mädchen mit den blonden Haaren und dem hellblauen Kleid, die von ihrer Mutter herausgeputzt worden war, als ginge es auf eine Hochzeit. Außer Hörweite der Erwachsenen hatten die Spielkameraden sie aufgezogen. Lisa reagierte schnippisch. Eines Tages würde sie einen der beiden englischen Prinzen heiraten, William oder Harry, in einem wunderschönen Brautkleid. Dann würde ihnen das Lachen vergehen. Du bist eine blöde Angeberin, hatte der Junge mit dem Bürstenhaarschnitt gesagt, und Kevin hatte richtig dreckig gelacht.
    Wo war sie, die blöde Angeberin?
    Lisa hatte sich durch eine Schießscharte an der Südseite der äußeren Ringmauer gezwängt. Ein Bekannter der Familie hatte ihr die Stelle mit einem Augenzwinkern gezeigt. Da findet dich niemand, hatte er gesagt und gelacht. Nur mutig müsste man sein.
    Lisa hatte allen Mut zusammengenommen und stand jetzt auf einem schmalen Felsvorsprung der Außenmauer. Unter ihr fiel das Gelände senkrecht in die Tiefe.
    Nur nicht hinunterschauen!
    Die anderen suchten vergeblich nach ihr. Keiner kam auf die Idee, sich aus einer der Fensteröffnungen zu lehnen und die Außenmauern der Burg abzusuchen. Nach einer Viertelstunde gaben sie auf.
    Du hast gewonnen, Lisa.
    Komm raus!, riefen sie immer wieder.
    Lisa spürte, dass sie beinahe keine Kraft mehr in ihren Fingern hatte. Ihre viel zu dünnen Arme zitterten vor Anspannung. Um zurück in den sicheren Innenhof zu klettern, müsste sie sich an den Felsvorsprüngen oberhalb der Scharte festhalten können. Aber ob sie das schaffen würde? Vergeblich rief sie um Hilfe. Aber der Wind, der vom Tal den Steilhang hinaufglitt, trug ihr Rufen ungehört fort. Schließlich wagte sie einen Versuch. Ein Bein glitt auf einem winzigen Steinchen aus und pendelte gefährlich über dem Abgrund. Dann verlor sie das Gleichgewicht. Verzweifelt suchten die Hände nach Halt. Rutschten über den schroffen Fels. Bluteten und schmerzten. Sie konnte nicht mehr.
    Ein letzter markerschütternder Schrei durchbrach die Stille des Waldes, während sie langsam nach hinten fiel. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie
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