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Gérards Heirat

Titel: Gérards Heirat
Autoren: André Theuriet
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sie gerne! Und Sie, Herr Vikar?«
    »Ich auch, aber ich mag nicht nur die, die ich selbst pflücke,« entgegnete er mit begehrlicher Miene.
    »Wollen Sie von den meinen?«
    Der Vikar nickte bejahend, und im Handumdrehen hatte die reizende Schelmin, ohne sich um die entrüsteten Gesichter ihrer Nachbarinnen zu kümmern, eine große, sehr appetitlich aussehende Johannistraube mit den Fingerspitzen erfaßt und bewegte sie nun vor dem Munde des Vikars hin und her.
    Der Aermste war glühend rot geworden. Er betrachtete verblüfft die verlockende Frucht, die sich in der kleinen Hand leicht bewegte, und bemerkte gleichzeitig einen weißen Arm, den der sehr weite Aermel unbedeckt ließ. Er stotterte einige unzusammenhängende Worte, wandte sich um und zog sichwohlweislich an das entgegengesetzte Ende des Buchenganges zurück, von wo der Geistliche, Herr von Seigneulles und Frau Grandfief diese Scene mitangesehen hatten. – »Welch unpassendes Benehmen!« flüsterte die letztere dem Abbé ins Ohr, der etwas den Mund verzog.
    Unterdessen hielt das junge Mädchen die Traube immer noch zwischen den Fingerspitzen.
    »Jetzt werde ich sie wohl selbst essen müssen,« sagte sie mit silberhellem Lachen und beerte sie zierlich mit dem Munde ab, Gérard hatte sich genähert, sie bemerkte ihn, machte eine überraschte Bewegung und ihre hellbraunen Augen begegneten den erstaunten Blicken des jungen Mannes.
    »Georgine,« sagte Frau Grandfief strenge zu einem der arbeitenden jungen Mädchen, »setze deinen Hut auf, es ist Zeit, uns zurückzuziehen!«
    Ein zweites junges Mädchen, mit dunklem Haar und pfirsichfarbenen Wangen, einem Kirschenmund, sittsam niedergeschlagenen großen Augen und vollen Formen, trat aus der Gruppe, die Fräulein Laheyrard entsetzt betrachtete, hervor und näherte sich Frau Grandfief.
    »Dies ist meine Tochter, Herr von Seigneulles,« sagte die Dame, während Fräulein Georgine eine feierliche Verbeugung machte.
    »Sie ist reizend,« flüsterte der höfliche Chevalier.
    Abbé Volland hatte versucht, sein salbungsvolles Gesicht in ärgerliche Falten zu legen und hatte die blonde Schelmin beiseite genommen.
    »Helene,« sagte er, »ich bitte dich, künftig meinem Vikar mit mehr Achtung zu begegnen.
    »Aber Herr Pfarrer,« erwiderte das junge Mädchen in etwas boshaftem Ton, »ich achte ihn nicht nur sehr, ich bewundere ihn sogar. Wenn Sie gesehen hätten, wie er mit dem Gesicht eines verscheuchten Schafes der Versuchung widerstanden hat ... Er hat mich unwillkürlich an den heiligen Antonius im Puppentheater erinnert!«
    »Abscheuliches Mädchen,« brummte der Geistliche kopfschüttelnd.
    Als Herr von Seigneulles und Gérard aus dem Pfarrhaus traten, fragte der erstere:
    »Wie findest du dieses junge Mädchen?«
    »Ganz bezaubernd,« antwortete der junge Mann noch ganz nachdenklich, »welch schöne, klangvolle Stimme und welch prächtiges blondes Haar!«
    »Blondes Haar?« wiederholte der Vater und blieb stehen, »bin ich denn blind? Ich hielt sie unbedingt für braun.«
    »Blond, Vater, mit langen, seidenen Locken, die über die Schultern fallen.«
    Herr von Seigneulles runzelte die Stirne.
    »Zum Kuckuck, so bleib doch bei der Sache! Wer spricht denn von jenem kecken Geschöpf mit der Löwenmähne? Es handelt sich um Fräulein Grandfief.«
    »Ach so,« sagte Gérard, »ich habe sie kaum gesehen.«
    »So! wenn du wieder einmal die Ehre haben solltest, mit ihr zusammen zu sein, so habe die Güte, sie dir anzusehen. Ich habe sie gesehen, und es würde mir nicht mißfallen, wenn sie meine Schwiegertochter würde.«
    Unterdessen hatte auch das junge Mädchen, das Herr von Seigneulles »ein keckes Geschöpf« genannt hatte, das Pfarrhaus verlassen und hatte, langsam gehend, die Straße erreicht, in der Herr von Seigneulles und ihre Eltern wohnten. »Wie zimperlich thun doch diese Kleinstädterinnen,« dachte sie, »und welcher Einfall von Papa, nach diesem Juvigny zu ziehen!« Doch trotz ihres Aergers seufzte sie, als sie sich der traurigen Ursachen erinnerte, die ihre Familie in die Provinz zurückgeführt hatten. Ihr Vater, ehemaliger Professor der Naturwissenschaften an der Ludwigsakademie, hatte aus der Not eine Tugend gemacht, als er Paris verließ, wo ihm das Leben mit vier Kindern und einem geringen Gehalt zu drückend wurde. »Und zu denken, daß man in Juvigny verschimmele, vielleicht sogar eine häßliche, alte Jungfer miteinem Ledergesicht wie die Vorsteherin der Schwesterschaft, werden würde! ... O nein,
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