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Gérards Heirat

Titel: Gérards Heirat
Autoren: André Theuriet
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niemals! ...« In diesem Augenblick wandte sich Gérard, der hinter seinem Vater ging, um, erkannte Fräulein Laheyrard und grüßte sie, ehe er ins Haus trat. Das junge Mädchen brach ihre traurigen Betrachtungen rasch ab und sagte zu sich selbst: »Da! unser Nachbar sieht recht gut aus ... Er ist ein hübscher Junge und macht keinen so anmaßenden Eindruck wie die jungen Leute aus der Stadt. Er hat sich sicher über mein Benehmen im Pfarrhause entsetzt,« Sie fing an laut zu lachen, als sie an das bestürzte Gesicht des Vikars dachte.
    Kindergeschrei empfing sie, als sie in den Hof des alten, von dem Schulrat bewohnten Hauses trat.
    »Nun, Toni, brennt's denn?« fragte sie ein neunjähriges Mädchen mit zerzaustem Haare, das ihr in einem zu kurzen Kleidchen, das die mageren Beine und die schwärzlichen Kniee sehen ließ, entgegengelaufen kam.
    »Helene,« rief das Kind, »der Benjamin hat seine Hose zerrissen, und Mama sagt, du sollest sie sogleich flicken!«
    »Angenehme Arbeit!« murmelte Helene, »konnte dies nicht auch jemand anderes thun?«
    »Mama sagt, du habest den schwarzen Faden mitgenommen.«
    »Das ist wahr,« sagte das junge Mädchen und stöberte in ihrer Tasche herum, aus der sie lachend ein Buch, einen Schlüssel, grüne Pflaumen und schließlich ein kleines Strohtäschchen, das Nadel und Faden enthielt, hervorbrachte.
    Toni faßte sie am Rock und zog sie in ein großes, aufs einfachste ausgestattetes Gemach, das zugleich als Wohn- und Speisezimmer diente. Benjamin, ein sorgloser Junge von elf Jahren, hockte auf dem Rand des Speiseschrankes und wartete pfeifend, bis ihm jemand sein einziges Paar Beinkleider flicken werde, Helene steckte den Fingerhut an und erbarmte sich der Hose, in der ein riesiger Riß gähnte, und stopfte denselben; unterdessen mißbrauchte Toni die hilfloseLage des unglücklichen Benjamins und kniff ihn mit gellendem Gelächter in die nackten Beine.
    »Bravo!« rief Marius, dessen spöttisches, an eine große Dahlie erinnerndes Gesicht, in der Thüre erschien, »welch rührendes Familienbild! die Jungfrau mit den Hosen, wundervolles Thema für einen Dichter aus der Schule des gesunden Menschenverstandes! ... Aber ißt man denn in diesem Hause gar nicht mehr? Es ist sechs Uhr!«
    »Werde doch nicht ungeduldig!« sagte Frau Laheyrard,, die sich auf der Schwelle der Küchenthüre zeigte, »man wird gleich decken.«
    Helene nahm Teller aus dem Speiseschrank und verteilte sie auf dem nur mit einfachem Wachstuch bedeckten Tisch. Währenddem hatte Benjamin, der wieder in den Besitz seines unentbehrlichsten Kleidungsstückes gelangt war, seinen Vater geholt. Bald war die ganze Familie in dem Speisezimmer vereinigt.
    Das Essen verriet die Abwesenheit einer Köchin, sogar die Art und Weise, in der es angerichtet war, ließ die Eile merken, mit der diese Mahlzeit ohne Geschmack und ohne Kunst bereitet worden war.
    »Ich bin ganz erschöpft,« stöhnte Frau Laheyrard und legte ihre fleischigen Ellbogen auf den Tisch. Sie war nahe an den Fünfzigen, aber sie hatte eine gewisse Jugendschöne besessen und davon waren ihr noch schönes blondes Haar, lebhafte Augen und prächtige Schultern geblieben. Sie war unaufhörlich beschäftigt und rührig; aber ihre geräuschvolle Thätigkeit trug nichts zum Wohlbehagen des Hauses bei. Sie verlor ihre Zeit durch Verhandlungen mit den Lieferanten, durch Zank mit ihren Dienstboten und mit Klagen über die hohen Preise der Lebensmittel und die geringen Hilfsquellen der kleinen Stadt.
    Diesen Abend waren ihre Klagen während der Mahlzeit noch wortreicher und noch bitterer als gewöhnlich; sie hatte ihr Mädchen weggejagt, und das Essen hatte darunter gelitten.»Abscheuliches Nest!« rief sie und schleuderte ihrem Gatten, der friedlich seinen Nachtisch aß, wütende Blicke zu; »man hat uns sehr schlecht behandelt, als man uns in dieses Dorf schickte!«
    »Aber, liebe Freundin,« antwortete Herr Laheyrard und warf die langen grauen Haare zurück, die ihm in den Nacken Herabsielen, »hilf deinem Gedächtnis ein wenig nach! Du selbst hast bei dem Ministerium um Juvigny gebeten.«
    Der Schulrat sprach langsam. Schon an seiner abgemessenen, nachdrücklichen Art zu reden, erriet man den alten Professor, der lange auf dem Katheder gethront hatte. Dieses gehaltene Sprechen schon konnte Frau Laheyrard im höchsten Grade aufbringen.
    »Jawohl, ich bin daran schuld! Du läßt mich's ja nicht vergessen! Ich habe mich getäuscht und büße nun dafür! Die Gegend ist
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