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Rueckkehr nach Glenmara

Titel: Rueckkehr nach Glenmara
Autoren: Heather Barbieri Sonja Hauser
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BILD EINS
    Dieser irische Regen
    K ate war seit Stunden auf der Straße unterwegs, nur be gleitet vom Regen. Dieser irische Regen gab immer wieder neue Kunststücke zum Besten, wehte von der Seite her, prasselte auf sie nieder, tropfte seufzend von den Blättern oder landete als Hagel auf Kapuze und Schultern und schmolz. Sie gab sich Mühe, ihm keine Beachtung zu schenken, weil sie solche Streiche kannte. Schließlich kam sie aus Seattle, der Stadt ihrer Geburt, ihres bisherigen Lebens und ihres gebrochenen Herzens. Sie hatte Seattle kurz nach der Trennung an einem Tag wie diesem, fast genau einen Monat zuvor, verlassen und wusste nicht, ob sie jemals zurückkehren würde. Doch der Regen oder sein Cousin folgte ihr, mit den Erinnerungen, die sie aus Amerika vertrieben hatten.
    Auf den ersten Blick sah die Geschichte wie so viele Geschichten sehr einfach aus. Sie gewöhnte sich an, sie ganz trocken wie eine amüsante Anekdote zu erzählen, und zwar so oft, dass das Timing am Ende perfekt war. Drei Minuten. Länger dauerte es nicht, um das Ende einer fünfjährigen Beziehung zu sezieren.
    Die Story lasse sich auf ein paar Sätze reduzieren , sagte sie: Ethan betrog sie mit einem Model, einer jungen Frau mit
schwarzen Haaren, heller Haut, aquamarinfarbenen Augen und beträchtlichem Treuhandvermögen. Mit einer Frau, der Prinzen und Fürsten den Hof gemacht hätten, wäre sie in einer anderen Zeit und an einem anderen Ort geboren worden. Mit einer Frau, so schmal und kantig wie eine Gottesanbeterin, die Kates Entwürfe bei ihrer missglückten Modenschau trug und behauptete, ihre Freundin zu sein.
    Das Model sprach fünf Sprachen, war eine ausgezeichnete Fechterin und begnadete Geigerin. Kate besaß keine solchen beeindruckenden Fähigkeiten. Sie konnte genug Französisch, um Essen zu bestellen oder den Weg zur Toilette oder zum Bahnhof zu erfragen, solange ihr Gegenüber keinen zu starken Akzent hatte. Den Kilometer lief sie in fünf Minuten. Sie hielt sich für hübsch, nicht für schön, und für eher klein. Beim Kartenspiel war ihr, anders als bei Glücksspielen, das Schicksal normalerweise gewogen. Sie liebte Filme von Fellini und Popcorn und Schokoladenkuchen – und Ethan, trotz allem, was passiert war.
    Sie schaffte es nicht, nicht mehr an ihn zu denken, und malte sich weit überzeugendere Argumente aus, als sie sie in der Wirklichkeit hinbekommen hätte. Die Realität sah folgendermaßen aus: leere Zimmer, allein kochen und essen, weniger Wäsche und eine sauberere Wohnung. (Ethan war ein Sammler und Jäger – von Rechts wegen hätte er ein Warnschild tragen müssen.) Die Realität bedeutete, allein aufzuwachen. Was sie letztlich gar nicht so sehr störte, weil sein Fremdgehen sie wütend machte. Trotzdem lief sie nach wie vor Gefahr, ihm zu verzeihen, wie schon so viele Male zuvor.
    Nein, nie mehr, hatte sie beschlossen. Sie würde diesen
Aufenthalt genießen und ihre Sorgen auf Distanz halten. Die Straße bot ihr nur zwei Möglichkeiten, vorwärts oder zurück, ohne Gabelungen oder Kreuzungen oder Umwege durch die weiten Felder voller Fingerhut; sie wurde gesäumt von moosbewachsenen Steinmauern und führte vorbei an verfallenen Farmhäusern mit halb eingestürzten Dächern und blinden Fenstern. Kate war seit fast einem Monat zu Fuß und per Anhalter unterwegs im westlichen Teil des Landes, wo Spuren der Zivilisation nur selten bis gar nicht auftauchten. Das gefiel ihr. Dublin, die großartige, starke Stadt, hatte sie innerhalb von vier Tagen kennengelernt: Trinity College, Book of Kells, die Straßen im Georgian Style , die Puppen und Mumien mit zerlumpter Kleidung, Zahnstummeln und Glasaugen in den Vitrinen der Museen, die Junkies, die ihr den Rucksack stahlen (sie war dem Dieb nachgelaufen und hatte ihn sich wiedergeholt), die Sozialwohnungen und den Smog. Alles hatte zwei Seiten – wenn nicht mehr.
    Sie war mit Bussen in den sagenumwobenen Westen gefahren – Busse, die sie nicht so weit brachten, wie sie sollten, die sie den Anschluss verpassen ließen oder ganz den Geist aufgaben. Es hieß, dass Ersatzfahrzeuge in einer Stunde eintreffen würden, dann in zwei oder drei, Behauptungen, die irgendwann klangen wie Märchen. Am Ende hatte sie das Warten satt, marschierte zu Fuß weiter und landete schließlich hier, wo Erschöpfung und Regen alles surreal machten.
    Jeder ihrer Schritte hinterließ eine Spur, manchmal sichtbar, manchmal nicht, eine Spur, die sagte: Ich war hier, es gibt mich. War dies nicht
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