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Gérards Heirat

Titel: Gérards Heirat
Autoren: André Theuriet
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ist!«
    Der Abend war warm und Schmetterlinge, die vom Garten hereingekommen waren, flatterten um die Kerzen.
    »Diese auch!« entgegnete der kleine Bucklige spöttisch und deutete auf die Insekten, die sich an der Flamme verbrannten.
    »Sie sind heute abend sententiös, Herr Finoël!« Helene erhob sich, ging an ihm vorbei und setzte sich ans Klavier.
    »Singen Sie mir etwas, das wird unsere trüben Gedanken zerstreuen.«
    Sie schlug einige Accorde an und wies mit dem Finger auf eine Partitur des »Don Juan«, die bei der Serenade aufgeschlagen war, Frank gehorchte und begann zu singen. Er hatte eine wunderbar reine und klangvolle Stimme; die Töne quollen von seinen Lippen und erregten den Eindruck einer Musik; die zu erhaben war, um irdisch sein zu können. Während Helene ihn begleitete, unterlag sie dem Zauber dieser eigenartigen, ergreifenden Stimme.
    Als die Arie zu Ende war, wandte sie sich um und begegnete dem tiefen, mit verwirrender Beharrlichkeit auf ihr haftenden Blick des Buckligen.
    »Was Sie für schöne Haare haben,« sagte er leise.
    »Finden Sie?« sagte sie und fuhr unbefangen mit der Hand durch die Locken, »Bah! was nutzt mir das? Ich werde sie doch eines schönen Tages in ein häßliches Haarnetz packen und in einer trübseligen Erziehungsanstalt Lehrerin werden müssen!«
    »Welcher Scherz!« sagte Finoël achselzuckend.
    »Ich scherze nicht; wir sind arm, ich bin ein Mädchenohne Mitgift und muß mein Brot verdienen, Erzieherin oder Unterlehrerin, das ist mein Los; das ist übrigens noch besser, als in diesem Nest sitzen bleiben!«
    »Sie gehören nicht zu denen, die sitzen bleiben!« entgegnete er warm; »haben Sie denn keinen Ehrgeiz? Haben Sie denn, so schön und so reich begabt, nie von einer Häuslichkeit, von Kindern, von einem Gatten geträumt, der glücklich wäre, Sie zur Königin dieser kleinen Stadt, die Sie zu sehr verachten, machen zu dürfen?«
    Sie schüttelte das Haupt. »Hausfrau in der Provinz, nein, mein Rücken ist nicht breit genug ...« Kaum war ihr dies letzte Wort entschlüpft, als sie an dem bitteren Ausdruck, den Finoëls Gesicht plötzlich annahm, bemerkte, daß sie eine Dummheit gemacht habe. Im Nu wurden ihre braunen Augen feucht. Aergerlich über ihre Unbedachtsamkeit, durch die sie den jungen Mann verletzt hatte, reichte sie ihm rasch die Hand. – »Ich wollte sagen,« setzte sie verlegen hinzu, »ich habe einen zu schlechten Charakter, um eine gute Hausfrau zu werden.«
    Eine leichte Röte überflog die Wangen des Buckligen.
    »Ich habe Sie verstanden,« sagte er traurig; er hielt Helenens Hand mit der seinen leidenschaftlich fest.
    »Sie halten mich für Ihren Freund, nicht wahr?« rief er aus, »dann versprechen Sie mir aber auch, keinen entscheidenden Entschluß zu fassen, ohne vorher mit mir gesprochen zu haben ... Schwören Sie es mir!«
    Sie sah ihn erstaunt an. – »Ich verspreche es Ihnen,« sagte sie etwas erschrocken, »sind Sie nun zufrieden?«
    »Danke,« flüsterte er und gab ihre Hand frei.
    Mittlerweile war Frau Laheyrard von ihrem Gange in die Stadt zurückgekommen und trat in das Atelier. Es schlug Zehn Uhr. Finoël verabschiedete sich von den Damen und ging nach Hause.
    Er wohnte in einem ziemlich ärmlich aussehenden Hause auf halber Höhe des Hügels, einige Schritte vom alten Gymnasiumentfernt. Ein Weber hatte die Kellerräume und das Erdgeschoß inne; die Zimmer im ersten Stock wurden möbliert an kleine Beamte und Arbeiterinnen vermietet. Frank trat in sein mit Scharteken angefülltes Zimmer und begab sich, da er noch keine Lust zum Schlafen hatte, an das auf die Gärten und das kleine Wäldchen des Gymnasiums gehende Fenster.
    Frank war ein natürliches Kind; seine Mutter, Taglöhnerin und Wäscherin von Beruf, war vor kaum sechs Jahren gestorben. Er war als Freischüler in demselben Gymnasium, dessen Bäume sein Fenster beschatteten, erzogen worden, er hatte fleißig gelernt und durch seine Willensstärke war es ihm gelungen, sich aus der armseligen Umgebung, in der er seine Kindheit verlebt hatte, aufzuschwingen. Stufe um Stufe war er bis zur halben Höhe der gesellschaftlichen Rangordnung Juvignys emporgestiegen. Er war mit fünfundzwanzig Jahren zweiter Kanzleivorstand und bei dem Obersekretär der Präfektur wohl gelitten; das war zwar ein Erfolg, aber nur ein sehr kleiner in den Augen eines so ehrgeizigen und zähen Burschen wie Frank. Der Sohn der Wäscherin träumte davon, in den höheren Kreisen mit den reichen Fabrikanten und
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