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Gehetzte Uhrmacher

Titel: Gehetzte Uhrmacher
Autoren: J Deaver
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der heutigen. Das Leben, das Rhyme sich in den letzten Jahren geschaffen hatte, so unsicher es auch sein mochte, würde sich grundlegend ändern. Denn indem Sachs zu Argyle Security wechselte, würde sie sich in Wahrheit natürlich nicht weiterentwickeln, sondern einen Schritt zurück machen. Das war ein Problem.
    Sellitto und Cooper waren gegangen, und Rhyme und Pulaski hielten sich allein in dem Labor auf, an einem der Tische, um die Spuren zu ordnen, die zu dem Skandalfall rund um das Hundertachtzehnte Revier gehörten. Nachdem man sie mit der Beweislast konfrontiert hatte – und der Tatsache, dass sie unwissentlich einen Terroristen angeheuert hatten -, waren Baker, Wallace und Henson eingeknickt. Um ihre Position vor Gericht zu verbessern, nannten sie die Namen aller Beteiligten des Reviers. (Wenngleich keiner von ihnen zu verraten bereit war, wer den Kontakt zwischen Baker und dem Uhrmacher hergestellt hatte. Das war verständlich. Man liefert keinen hochrangigen Vertreter des organisierten Verbrechens ans Messer, der aufgrund dieser Aussage in demselben Gefängnis landen könnte wie man selbst.)

    In Vorbereitung auf Sachs’ Abschied war Rhyme zu dem Schluss gelangt, dass Ron Pulaski letztlich einen guten Beamten der Spurensicherung abgeben würde. Der Junge war einfallsreich, intelligent und so hartnäckig wie Lon Sellitto. Rhyme würde acht bis zwölf Monate benötigen, um seine rauen Kanten zu glätten. Er und der Neuling würden gemeinsam Tatorte untersuchen, Spuren analysieren und Täter überführen, denen dann nur noch die Wahl blieb, ins Gefängnis zu gehen oder sich einen Strick zu nehmen. Das System würde weiterhin funktionieren. Polizeiarbeit hing nicht von einer einzelnen Person ab, und das war auch gut so.
    Ja, das System würde weiterhin funktionieren... Aber es fiel ihm unendlich schwer, sich das System ohne Amelia Sachs vorzustellen.
    Ach, diese beschissene Rührseligkeit, dachte Rhyme. Ich sollte mich lieber an die Arbeit machen. Er schaute zu der Tafel. Der Uhrmacher ist irgendwo da draußen; ich werde ihn finden. Er... wird... nicht... davonkommen.
    »Was?«, fragte Pulaski.
    »Ich hab nichts gesagt«, fuhr Rhyme ihn an.
    »Doch, haben Sie. Ich hab bloß...« Rhymes lodernder Blick ließ ihn verstummen.
    Pulaski wandte sich wieder seiner Aufgabe zu. »Diese Notizen, die ich in Bakers Büro gefunden habe«, sagte er. »Die sind auf billigem Papier. Soll ich Ninhydrin benutzen, um die Fingerabdrücke zu nehmen?«
    Rhyme setzte zu einer Antwort an.
    »Nein«, sagte eine weibliche Stimme. »Versuchen Sie es zuerst mit einem Jodnebel. Dann mit Ninhydrin, dann mit Silbernitrat. Sie müssen sich immer an diese Reihenfolge halten.«
    Amelia Sachs stand im Eingang. Rhyme setzte eine wohlwollende Miene auf. Lass dir nichts anmerken, ermahnte er sich. Sei nicht kleinlich . Benimm dich erwachsen .
    »Andernfalls könnten die Chemikalien miteinander reagieren, und die Abdrücke wären verdorben«, fuhr sie fort.
    Peinlicher kann’s ja wohl nicht mehr werden, dachte der Kriminalist verärgert. Er starrte die Tabellen an, während die Stille zwischen ihnen so laut heulte wie draußen der Dezemberwind.
    »Es tut mir leid«, sagte sie.

    Das aus ihrem Mund zu hören, war ungewöhnlich; die Frau entschuldigte sich ungefähr so oft wie Lincoln Rhyme. Also so gut wie nie.
    Rhyme reagierte nicht und behielt die Augen auf die Tafel gerichtet.
    »Ehrlich, es tut mir leid.«
    Diesen Grußkartenspruch kannst du dir schenken, dachte er wütend. Stirnrunzelnd wandte er den Kopf.
    Und merkte, dass sie nicht mit ihm sprach.
    Sie sah Pulaski an. »Ich mache es irgendwie wieder gut. Sie können den nächsten Tatort übernehmen, und ich assistiere Ihnen. Meinetwegen auch mehrere Tatorte.«
    »Wie meinen Sie das?«, fragte der Neuling.
    »Sie wissen ja, dass ich aufhören wollte.«
    Er nickte.
    »Aber ich habe meine Meinung geändert.«
    »Sie gehen nicht?«, fragte Pulaski.
    »Nein.«
    »He, kein Problem«, sagte Pulaski. »Wissen Sie, ich hab überhaupt nichts dagegen, den Job noch eine Weile zu teilen.« Seine Erleichterung darüber, nicht die einzige Ameise unter Lincoln Rhymes Vergrößerungsglas zu sein, war eindeutig größer als die etwaige Enttäuschung, wieder zum Assistenten degradiert zu werden.
    Sachs nahm sich einen Stuhl und setzte sich zu Rhyme.
    »Ich dachte, du wärst bei Argyle«, sagte er.
    »Da war ich auch. Um abzusagen.«
    »Würdest du mir den Grund verraten?«
    »Ich habe einen Anruf bekommen.
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