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Harry Dresden 08 - Schuldig

Harry Dresden 08 - Schuldig

Titel: Harry Dresden 08 - Schuldig
Autoren: Jim Butcher
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1. Kapitel
    B lut hinterließ keine Flecken auf dem grauen Umhang eines Wächters.
    Mir war das bis zu dem Tag nicht bewusst gewesen, an dem Morgan, der zweitranghöchste Wächter des Weißen Rates, sein Schwert über der knienden Gestalt eines jungen Mannes erhob, der schwarze Magie ausgeübt hatte. Der Junge, höchstens sechzehn Jahre alt, schrie und tobte unter seiner dunklen Kapuze auf Koreanisch. Seine Lippen versprühten Hass und Wut, und bedingt durch seine Jugend hielt er sich höchstwahrscheinlich nach wie vor für unsterblich. Er merkte nicht einmal, wie das Schwert auf ihn hinabsauste.
    Das war eine geringe Gnade. Eine mikroskopisch geringe, wenn man es so betrachtet.
    Sein Blut spritzte in purpurnem Bogen durch die Luft. Ich stand nicht mal drei Meter entfernt. Ich fühlte, wie warme Tropfen auf meine Wange klatschten, und weiteres Blut färbte die eine Seite meines Umhanges zornig rot. Der Kopf fiel zu Boden, und ich sah, wie sich das Tuch darüber bewegte, als stoße der Mund des Knaben immer noch Verwünschungen aus.
    Der Körper fiel zur Seite. Die Muskeln in einer Wade zuckten und hörten dann auf, sich zu bewegen. Nach gut fünf Sekunden war auch der Kopf gänzlich reglos.
    Morgan blieb einen Augenblick über der unbeweglichen Gestalt stehen, das silberne Schwert der Gerechtigkeit des Weißen Rates in Händen. Außer ihm und mir war noch ein Dutzend weiterer Wächter anwesend – und zwei Mitglieder des Ältestenrates, der Merlin und mein ehemaliger Mentor Ebenezar McCoy.
    Die schwachen Bewegungen des stoffbedeckten Kopfes erstarben. Morgan sah zum Merlin auf und nickte. Der erwiderte das Nicken. „Möge er Frieden finden.“
    „Frieden“, antworteten alle Wächter gemeinsam.
    Außer mir. Ich wandte ihnen den Rücken zu und schaffte es, noch zwei Schritte zu taumeln, bevor ich mich auf den Boden des Lagerhauses übergab.
    Zitternd stand ich einen Augenblick da, bis ich sicher war, dass ich nichts mehr hochwürgen konnte, bevor ich mich langsam aufrichtete. Ich spürte, wie jemand näherkam, und als ich aufblickte, sah ich Ebenezar dort stehen.
    Er war ein alter Mann mit bis auf ein paar letzte Büschel weißen Haars kahlem Haupt. Er war nicht sehr groß, aber stämmig, und sein Gesicht war halb unter einem draufgängerisch aussehenden Bart verborgen. Nase, Wangen und die blanke Kopfhaut waren braungebrannt bis auf eine frische, gerötete Narbe oberhalb seiner Stirn. Auch wenn er Jahrhunderte alt war, bewegte er sich mit einer energischen Lebhaftigkeit, und seine Augen hinter der goldrandigen Brille waren wachsam und nachdenklich. Er trug die formelle schwarze Robe des Rates; die purpurrote Stola darüber zeigte, dass es sich bei ihm um ein Mitglied des Ältestenrates handelte.
    „Harry“, meinte er leise. „Alles klar?“
    „Nach dem Ganzen hier?“, brummte ich laut genug, dass mich auch wirklich jeder hörte. „Bei niemandem in diesem verdammten Gebäude sollte alles klar sein.“
    Ich fühlte plötzliche Spannung in der Luft hinter mir.
    „Nein“, stimmte Ebenezar zu. Ich sah, wie er sich zu den anderen Magiern umblickte. Sein Kiefer war stur nach vorn geschoben.
    Der Merlin kam zu uns herüber. Auch er trug seine formelle Robe und seine Stola. Er sah genau so aus, wie man sich einen Magier schon immer vorgestellt hatte – groß, mit langem, weißen Haar, einem langen, weißen Bart, durchdringenden, blauen Augen und von Alter und Weisheit zerfurchtem Gesicht.
    Nun ja. Zumindest bei den Altersfalten war ich mir sicher.
    „Wächter Dresden“, hob er an. Er besaß die klangvolle Stimme eines ausgebildeten Redners, und in seinem Englisch schwang ein britischer Oberklassenakzent mit. „Falls Sie einen Hinweis darauf besaßen, dass der Knabe unschuldig war, hätten Sie diesen während der Gerichtsverhandlung präsentieren sollen.“
    „Sie wissen genau, dass ich nichts dergleichen in der Hand hatte“, antwortete ich.
    „Wir haben ihn für schuldig befunden“, sagte der Merlin. „Ich habe den Seelenblick vollzogen. Ich habe mehr als zwei Dutzend Sterbliche untersucht, deren Gedanken er verändert hatte. Drei von ihnen haben zumindest die Chance, ihre geistige Gesundheit wiederzuerlangen. Er hatte vier weitere gezwungen, Selbstmord zu begehen. Darüber hinaus hatte er neun Leichen vor den örtlichen Polizisten verborgen, und jedes einzelne seiner Opfer war ein Blutsverwandter.“ Der Merlin machte einen Schritt in meine Richtung, und die Luft in der Halle fühlte sich plötzlich
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