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Geheimes Verlangen

Geheimes Verlangen

Titel: Geheimes Verlangen
Autoren: C Redfern
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ist, das den Planeten aus seiner Bahn wirft und alles, was weiterlebt, wie eine Beleidigung erscheinen lässt.
    In den folgenden Tagen weicht seine Schockstarre hemmungslos geifernder Wut. Er wirft die Liste mit den Namen und Telefonnummern zornig in den Müll: Sie ist verschwunden, ohne ein einziges Wort zu hinterlassen. Selbst wenn er Nachforschungen anstellen würde, er würde sowieso von niemandem etwas erfahren. Vielleicht hat sie sich aber auch einen anderen angelacht – schließlich ist er nicht ihr erster Liebhaber gewesen, vielleicht nicht mal der einzige im zurückliegenden Jahr. Richtig, sie war schon immer eine falsche Hexe. Würde ihn nicht wundern, wenn sie ihn die ganze Zeit von A bis Z belogen hat. Ohnehin hat sie mit jedem Wort nur eines bezweckt: ihn zu schwächen. Hat immer nur ein Ziel gehabt: ihn zu verletzen. Sie hat ihn seziert, studiert, ihn ausrangiert. Sein ganzer Körper – jeder einzelne Muskel, jeder Knochen – ein einziger Schmerz. Dieses Schweigen hat er nicht verdient. Nicht mal verabschiedet hat sie sich – nach allem, was zuvor zwischen ihnen gewesen ist. Sie hätte sich auch allmählich von ihm lösen können, statt sämtliche Fäden so abrupt zu durchtrennen. Wenigstens zu einem Abschiedskuss hätte sie sich herablassen können. Er sitzt in der Stadt auf einer Bank und bemerkt kaum, wie tief seine Fingernägel sich in sein Fleisch gegraben haben. Richtig gemein ist ihr Verhalten. … dass ich dich nicht mehr so sehr liebe wie heute. Gut, denkt er, umso besser. Du bist für mich ohnehin gestorben. Und wenn du es wissen willst: Ich liebe dich überhaupt nicht mehr, kein bisschen. Ich bin sogar froh, dass du mich vergessen hast. Lass mich einfach in Frieden, denk nicht mehr an mich, rede nicht mehr über mich, am besten, du nimmst meinen Namen gar nicht mehr in den Mund. Hau einfach ab, mit deinen Händen, die nur zerstören, deiner Friedhofsstimme, deinem beschissenen Gesicht. Und wenn seine Wut so groß wird, dass er sich kaum noch auf den Beinen halten kann, vergräbt er das Gesicht in den Händen und fängt an zu weinen. Oh, wie er sie vermisst. Ihr Verschwinden reißt ihn mitten in der Nacht aus dem Schlaf, ist morgens sein erster, abends sein letzter Gedanke. Am Morgen wacht er schon müde auf, erschöpft von der Aussicht auf einen weiteren Tag. Und obwohl sich an seinem Leben äußerlich nichts verändert hat – dieselben Menschen, dieselben Orte, alles, was er um keinen Preis aufgeben wollte, was ihm wichtiger war als sie -, fühlt er sich innerlich vollkommen leer, ausgeplündert, ein für allemal verändert.
    Der Sommer legt sich wie ein Wolfsfell über das Land. Abends leuchtet der Himmel in den gleichen Orange-, Gelb- und Rosatönen wie die saftigen Früchte, die er vom Markt nach Hause schleppt. In Abständen ruft er noch in ihrem Haus an, hört eine Stimme, die mechanisch kundtut, dass die Nummer nicht vergeben ist. Er überlegt, was er sagen soll, falls sie sich doch überraschend melden sollte – aber er hat keinen einstudierten Satz parat. Auf der Straße beobachtet er geistesabwesend den Verkehr, ist unentschlossen, ob er sich über den Anblick ihres Autos freuen oder daran vollends zerbrechen würde. Für den Fall, dass dies wirklich geschehen sollte, nimmt er sich vor, augenblicklich zu fliehen, über Mauern zu springen, mit Gebäuden zu kollidieren, zu fliegen. Wenn er irgendwo in einer Schlange steht, unter Menschen ist – im Supermarkt, im Park, an der Fußgängerampel -, mustert er die Gesichter. Er überlegt, was wohl aus all den kleinen Aufmerksamkeiten geworden sein mag, die er ihr geschenkt hat, ob sie sie mitgenommen oder achtlos weggeworfen hat. Tagelang bewegt ihn nur diese eine – völlig sinnlose – Frage. Unablässig stochert er mit den Fingern in dieser Wunde herum, weil es so wehtut. Dann fällt ihm plötzlich ein, dass er noch kein Weihnachtsgeschenk für sie hat. Er ertappt sich dabei, wie er eine Flasche mit einem Öl kauft, mit dem sie sich manchmal die Handgelenke einreibt. Ein süßlicher Geruch, ein Kindheitsduft – wie eine Papiertüte mit sorgfältig ausgewähltem, grell buntem Konfekt. Doch jetzt erinnert ihn der Geruch nur an eines: sie. Er lässt das Geschenk verpacken, wickelt es aber schon ein paar Stunden später wieder aus, schraubt den Verschluss von der Flasche und riecht daran. Und dann versteckt er sie – wie all die anderen Dinge, wie die Hälfte seines Lebens.
    Anfang des Jahres fährt er lustlos in den Urlaub, nimmt
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