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Geheimes Verlangen

Geheimes Verlangen

Titel: Geheimes Verlangen
Autoren: C Redfern
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unerklärlich: seine Liebe zu diesem Haus, die merkwürdige Empfindung, dass diese Liebe erwidert wird. Ja, hier fühlt er sich wirklich willkommen. Mein Gott, es scheint eine Ewigkeit her zu sein, seit er zuletzt hier gewesen ist.
    In der Nacht zuvor hat es geregnet, und seine Schuhe sinken in den feuchten Rasen ein. Die Holzschindeln vorn an der Fassade haben zwar noch dieselbe Farbe, trotzdem hat sich etwas verändert. Als er läutet, bleibt es im Haus völlig still. Er späht durch ein Fenster in das Haus und schützt seine Augen mit der Hand vor dem hellen Sonnenlicht. Durch die Schlitze zwischen den Jalousielamellen kann er ihre Bücher ausmachen, den Tisch, den alten Teppich. Die Gemälde an der Wand. Er ist so verwirrt, dass er sein eigenes Spiegelbild nicht erkennt, hinter dem Fenster einen Fremden vermutet. Er hebt drohend die Faust und weicht zugleich instinktiv einen Schritt zurück. Sein Herz rast. Die Vorstadt ringsum ist ein Friedhof, alles tot, weit und breit kein Nachbar, den man fragen könnte. Er blickt die Straße hinunter, weiß weder ein noch aus. Ob sie mit dem Hund im Park unterwegs ist? Er könnte sie dort suchen, ihr auf der Wiese entgegengehen, dabei weiß er nicht mal genau, wo der Park eigentlich liegt. Als er sich zum Gehen wendet, bemerkt er entsetzt, dass die Garage leer ist, das Auto fehlt. Ihr Wagen ist weg, ihr Hund ist auch nicht da, und am Telefon meldet sie sich nicht. Es scheint, als ob sie weggelaufen sei: vielleicht um nachzudenken oder um zu schmollen, ihn zu bestrafen. Also wartet er.
    Aber einen ganzen Tag zu warten, kann ziemlich lang werden, zwei Tage sind die reinste Tortur. Ihr Telefon läutet pausenlos. Manchmal stellt er sich vor, dass sie mit etwas beschäftigt ist, plötzlich innehält und einen Blick auf das Telefon wirft: dass sie weiß, dass er ständig anruft, aber nicht mit ihm sprechen will. In der Nacht träumt er von ihr, wie sie nackt wie eine Echse unter ihm liegt. Er vögelt sie ungestüm – mit einer Art kalter Wut. Ihre Knie umklammern seine Hüften, sie spricht zu ihm, dabei ist ihr Blick ständig auf etwas gerichtet, das er nicht sehen kann. Er hat im Schlaf das Gefühl, einen Hang hinunterzurutschen. Er sieht jeden Millimeter ihres Körpers vor sich, wittert ihren rauchigen Duft, spürt jede Nuance ihrer geschmeidigen Scheide. Diese Eindrücke haben sich ihm so tief eingeprägt, dass er sie mit ins Grab nehmen wird. Er küsst sie, von leidenschaftlicher Liebe durchglüht, doch ihr Blick driftet weiterhin ins Leere. Als er aufwacht, weiß er, dass es sinnlos ist, weiter zu warten.
    In einem Augenblick einsamer Verzweiflung wählt er die Nummer einer großen psychiatrischen Einrichtung, die von der Straßenbahn aus zu sehen ist. Schon mehrfach sind ihm dort aufgedunsene Männer und hohlwangige Frauen aufgefallen, die morgens an dem großen Gittertor stehen und ebenso verstört wie sehnsüchtig auf die Straße hinausblicken. Er nennt den Namen der Frau, die er sucht, und erklärt die Situation, wird aber von der Stimme am anderen Ende ebenso knapp wie höflich darauf hingewiesen, dass Patientendaten vertraulich sind und grundsätzlich nicht preisgegeben werden, Punktum.
    Er legt wieder auf und stützt den Kopf in die Hände.
    Ein Teil von ihm beobachtet ihn selbst mit einer Art wölfischer Neugier, mit gespitzten Ohren und seitlich geneigtem Kopf. Er schleppt sich durch die Vormittage, die endlosen Nachmittage. Abends schaut er fern, im Kopf nichts als dumpfe Leere. Gelegentlich ist sein Entsetzen so monströs, dass er schon glaubt, sein Körper könne dies alles nicht länger ertragen, dass die Qualen ihn buchstäblich lähmen. Dann wieder ist er plötzlich sicher, dass er sie gar nicht vermisst. Vielleicht hat sie ja recht gehabt: Vielleicht hat er sie gar nicht geliebt. Wenn er sie vermissen, sie wirklich lieben würde, müsste seine Verzweiflung im Grunde genommen noch viel größer sein, als sie es in Wahrheit ist. Andererseits kann er sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie seine Verzweiflung sich noch steigern ließe.
    Die Woche, die seit ihrem Verschwinden verstrichen ist, erscheint ihm wie ein gewaltiger Berg, der ihn unter sich begraben hat. Die nächsten drei Tage kriechen auf den Knien vorbei. Er blättert im Telefonbuch, bis er ihren Familiennamen findet. Sicher kennt sie einige der Personen, die in dem Verzeichnis unmittelbar vor oder nach ihr aufgelistet sind, womöglich haben einige davon sogar schon mal von ihm gehört. Er
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