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Geheimes Verlangen

Geheimes Verlangen

Titel: Geheimes Verlangen
Autoren: C Redfern
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irgendein Flugzeug, sitzt tatenlos am Strand und schaut auf die blaue See hinaus. Ich liebe dich wie die Sonne das Meer, ich brauche dich wie das Meer den Mond. Das hat sie irgendwann mal gesagt. Aber sie hat auch immer wieder gesagt, dass sie beide zu viel reden, ausgerechnet sie, die ohnehin jedes Gespräch fast allein bestritt. An diesem fernen Ort scheint auch sie plötzlich weit weg, als ob sie nichts weiter sei als ein Produkt seiner Fantasie: Dennoch studiert er unablässig Gesichter, läuft zwischen Surfboards, Möwen, Eiscreme schleckenden Kindern umher und sucht sie an einem Ort, an dem sie nie gewesen ist. Wenn sie plötzlich vor ihm stünde, würde er sie sofort erkennen, trotzdem weiß er nicht mehr genau, wie sie aussieht. Sie verblasst in seiner Erinnerung. Nur manchmal nachts, wenn er nach einem weinseligen Nachmittag – von der Sonne braun gebrannt – in einen unruhigen Schlaf fällt, kehrt sie zu ihm zurück, sitzt zwischen seinen Knien, legt ihm die Hände auf das Gesicht. »Warum hast du mich verlassen?«, fragt er sie dann wie ein Kind. Legt den Kopf müde auf ihren Bauch, hört das Knurren und Pochen des Lebens tief in ihrem Innern.
    Im Herbst beobachtet er, wie die Bäume allmählich die Farbe wechseln, wie die Schatten schwerer werden, die Vögel mehr und mehr verstummen. Er harkt den Hof und verteilt das Laub unter den Sträuchern, weiß, dass sie sich darüber freuen würde. Inzwischen hat er gelernt, mit jener Leere zu leben, die ihr Verlust in ihm zurückgelassen hat, den vielen Dingen, die er so gern wüsste. Stunden verstreichen, ohne dass er an sie denkt, doch nie ein ganzer Tag. Manchmal wählt er noch ihre Nummer, nur für alle Fälle. Er denkt bisweilen daran, mal wieder zu ihrem Haus hinauszufahren, doch die Vorstellung, dass vielleicht in der Einfahrt ein fremder Wagen steht, dass die wild wuchernden Sträucher radikal zurückgeschnitten und die Stiefel neben der Tür für andere Füße bestimmt sind, – nein, das wäre zu viel. Andererseits kommt es immer häufiger vor, dass es ihm so scheint, als ob alles nur Einbildung gewesen sei. Vielleicht haben die Stiefel schon immer jemand anderem gehört, vielleicht ist der verwilderte Garten nur eine ferne Kindheitserinnerung. Er hat immer noch alles, was er schon hatte, bevor sie in sein Leben hereingebrochen ist: Es fehlt ihm an nichts. Wäre da nicht diese unablässig schwärende kleine Wunde. Er kann einfach nicht aufhören, nach ihr Ausschau zu halten. Doch das ist bestimmt nur eine Gewohnheit, die sich irgendwann verlieren wird. Auch wenn er ihren Geburtstag nicht vergessen hat, Geschenke kauft er keine mehr.
    Doch in Wirklichkeit ist seine Wunde nicht klein. In Wirklichkeit weiß er, dass er an dem Tag, als er das erste Mal mit ihr gesprochen hat, über den Rand einer Klippe getreten ist. An dem Tag, als sie ihm den lächerlichen Satz entgegengeschleudert hat: Ich möchte dich ficken, bis du zu schreien anfängst. In Wirklichkeit weiß er genau, dass er etwas Unbegreifliches erlebt hat und dass sein Leben nie mehr sein wird wie zuvor. Mag auch von außen gesehen alles wie immer erscheinen, nichts ist mehr wie früher. Alles hat sich durch sie verändert, und sie ist nicht mehr da, und wenn er sich fragt: Wer bin ich?, findet er keine Antwort, denn er ist niemand. Sie hat ihn freigegeben. Er hat das entscheidende Wort ausgesprochen, und sie hat ihr Wort gehalten: ihn gehen lassen.
    Als er eines Tages – wegen der klammen Kühle des nahenden Winters warm gekleidet – mittags im Park ein Sandwich isst, fällt ihm plötzlich der Satz wieder ein: …, dass ich dich nicht mehr so sehr liebe. Der Bissen, den er gerade im Mund hat, bleibt ihm im Hals stecken. Diese Worte treiben ihn schon seit Monaten um. Der Gedanke, dass sie ihn verlassen hat, weil sie ihn nicht mehr liebt, quält ihn auch jetzt noch wie ein schlecht ausgeheilter Knochenbruch. Wie dumm von dir, die Liebe zu zerstören, die ich für dich empfinde. Er hat seine brutale Dummheit mit sich herumgeschleppt wie ein uneingestandenes Verbrechen. Wie er sich wieder und wieder verdammt hat, weil er es selbst verschuldet hat, dass sie ihn nicht mehr liebt. Wie sein Hass gegen sie immer wieder aufgeflammt ist, weil sie ihn auf eine so unreife Weise geliebt hat, ohne jede Bereitschaft zur Vergebung. Aber jetzt, wo ihm der schneidende Wind des nahenden Winters ins Gesicht bläst, wird ihm plötzlich klar, was ihm in all den Monaten der Verzweiflung stets entgangen ist. Durch ihr
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