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Geheimes Verlangen

Geheimes Verlangen

Titel: Geheimes Verlangen
Autoren: C Redfern
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notiert sich die Nummern. Aber wer würde in so einer Situation schon auf die Idee verfallen, wildfremde Menschen zu behelligen? Nur ein Hysteriker. Also lässt er den Zettel, auf dem er sich die Namen notiert hat, in einer Schublade verschwinden. Nachdem er eine Weile dumpf auf den Bildschirm seines Computers gestarrt hat, erhebt er sich aus seinem Stuhl.
    Wieder fährt er mit dem Wagen die ganze Strecke bis zu ihrem Haus. Vermutlich wird er in Zukunft automatisch an sie denken, wenn er auf einer dieser Vorstadtstraßen unterwegs ist. Es hat Zeiten gegeben, da konnte er gar nicht schnell genug fahren, und alles Blut war aus seinen Fingern gewichen, die zitternd das Lenkrad umklammerten. Zeiten, da er das Fenster heruntergelassen hatte, um gierig den Fahrtwind einzuatmen.
    Ein herrlicher Nachmittag, doch sie ist nirgends im Garten zu sehen. Honigfresser flattern von Strauch zu Strauch, ebenso unauffällige wie beeindruckende Akrobaten, die mit ihrer langen Zunge den Nektar aus den Blüten lecken. Im Briefkastenschlitz klemmt eine Postwurfsendung. Er drückt auf die Klingel und wartet nervös. Diesmal muss sie einfach öffnen, denkt er. Das Garagentor ist geschlossen, doch er beschließt, es nicht zu öffnen, nicht nachzuschauen, ob der Wagen da ist. Wenn sie gleich in der Tür erscheint, wird er sie auf beiden Armen in die Luft heben, sein Gesicht in ihrem Haar vergraben – weinen.
    Ein paar Augenblicke vergehen: Er drückt wieder auf die Klingel, weiß nun, dass sie nicht erscheinen wird. Er lehnt sich gegen die mit Holzschindeln verkleidete Fassade, im Kopf ein heftiges Pochen, in den Händen ein unangenehmes Kribbeln. Das Licht, das die Fassade des Hauses anstrahlt, ist so grell, dass er die Augen zukneift. Ach, hätte er wenigstens eine kurze Nachricht für sie aufgeschrieben, dann könnte er den Zettel jetzt unter der Tür hindurchschieben. Plötzlich wird ihm schmerzlich klar, dass er in den vergangenen Wochen nie etwas zurückgelassen hat, nicht den geringsten Hinweis darauf, dass er hier gewesen ist. Vielleicht hat sie, jedes Mal wenn sie nach Hause gekommen ist, darauf gehofft, ein solches Zeichen von ihm zu finden: eine Blume, die im Fliegendraht steckt, ein Gesicht, das sich in einer Fensterscheibe spiegelt, eine Nachricht – mit Kreide auf das Pflaster geschrieben -, und jedes Mal ist sie wieder enttäuscht worden. Wo bist du? hätte er in großen fragenden Lettern schreiben können. Wir sind hier nicht in einem Roman, in dem nur ich vorkomme. Kleine Worte, die vielleicht groß genug gewesen wären, um sie zurückzuholen, um sie wieder so einzufangen, wie sie ihn früher einmal für sich gewonnen hatte.
    Er tritt an ein Fenster, schaut hindurch. Der Raum ist völlig leer, alle Möbel sind verschwunden: ihre Bücher, die Bilder, der Schreibtisch, der Sessel; auch der Läufer liegt nicht mehr auf dem Fußboden.
    Im ersten Augenblick ist er verwirrt – ob sie renoviert? Dann ist ihm alles klar.
    Er schiebt sich an der Wand entlang zum nächsten Fenster, bricht Zweige, knickt Blüten ab. Bienen fliegen aggressiv summend auf. In ihrem Wohnzimmer hat er einmal auf einer warmen Decke gelegen und zu ihr aufgeblickt, die über ihm stand. Jetzt fehlt die Decke ebenso wie die Couch, der Kaffeetisch, der Fernseher. Er schlägt mit der Hand gegen das Glas, stößt einen langgezogenen Klagelaut aus. Er wendet sich vom Fenster ab, schiebt sich wieder am Haus entlang, um einen Blick in ihr Schlafzimmer zu werfen. Das Bett ist verschwunden, der Nachttisch, die Bilder an der Wand. Auch der Stuhl in der Ecke, auf den er früher immer seine Sachen geworfen hat, einfach weg. Die rechteckigen Abdrücke auf dem Teppichboden zeigen genau, wo noch vor kurzem das Bett gestanden hat. Die Tür zum Wandschrank steht halb offen. Dahinter ein dunkles Nichts. Das ganze Zimmer vollkommen nackt – bar jeder Erinnerung.
    Sein Herz ist wie ein hilflos im Wasser flatternder Vogel. Er drückt sich mit dem Rücken gegen die Wand, rutscht immer weiter nach unten, die geballten Fäuste vor den Mund gepresst. Er sucht verzweifelt nach einer anderen als der einzig plausiblen Erklärung. Eines Tages schaffst du es noch, dass ich dich nicht mehr so sehr liebe wie heute. Ebenso einfache wie apokalyptische Worte, die das Ende einer ganzen Welt beschreiben. Er sitzt auf den mit trockenem Moos bewachsenen Steinen und weiß plötzlich, wie es ist, wenn ein geliebter Mensch stirbt: ein Ereignis, das in ein Meer belangloser Vorkommnisse eingebettet
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