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Gefeuert

Titel: Gefeuert
Autoren: Julia Berger
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    Prolog
    Im Sommer 2009 nahm mein Leben eine Wende, die ich nicht erwartet hätte. Mir wurde gekündigt. Telefonisch, freundlich, unmissverständlich. Ein einziger Anruf katapultierte mich aus meinem Arbeitnehmerdasein, das ich fünfzehn Jahre lang für selbstverständlich gehalten hatte. Ich landete auf einem mir bislang völlig fremden Planeten. Hier traf ich auf Menschen, die eine besondere Form des Deutschen sprechen. Von ihnen lernte ich Begriffe wie »Abwicklungsvereinbarung«, »Sperrzeiten« und »Zumutbarkeit«. Auf einmal war ich mit einem Stigma behaftet, dem der Gekündigten und Arbeitslosen. Ich erlebte meinen persönlichen »clash of civilisations«. Es war, als würde ich ein schroffes und kaltes Land bereisen, es war feindlich und unwirtlich. Alles, was ich darüber auf den nächsten Seiten erzähle, ist tatsächlich so passiert; lediglich die Namen aller Personen – auch mein Name – sind geändert.

    Schon den ersten Hinweis, dass eine dramatische Änderung anstand, erhielt ich telefonisch. Am Tag vor der Kündigung rief mich mein Chef Jürgen an. Er erwischte mich zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Ich war gerade damit beschäftigt, in der Innenstadt im Kaufrausch von einem Laden in den nächsten zu fallen. Es war der erste Shoppingausflug seit der Geburt meines Sohnes und mein Vorgesetzter war der Letzte, mit dem ich mich in diesem Moment unterhalten wollte. Ich erwartete, dass er mich überreden wollte, eine »herausfordernde« Aufgabe zu übernehmen (was bedeutete, dass sie keiner der Kollegen machen wollte …).
    Stattdessen sagte er: »Ich habe schlechte Nachrichten …«
    Ich habe mich selten so fehl am Platz gefühlt wie in diesem Moment. Das klang so ernst, dass ich mich sofort zwischen voll behängten Kleiderstangen und überfüllten Ladentischen hindurchschlängelte und aus dem Laden eilte.
    Ich war in der Fußgängerzone, Menschen mit bunten Plastiktüten in den Händen strömten in beide Richtungen an mir vorbei, aus den Geschäften drang billiger lauter Pop. Ich scherte aus, um abseits etwas Ruhe zu suchen, und stieß auf den paar Metern dorthin mit mehreren Passanten zusammen, die ungerührt weiterliefen. Selbst hier dröhnten Stimmengewirr und Musik so laut, dass ich mir das freie Ohr zuhalten musste, um meinen Chef verstehen zu können.
    »Unser Projekt wird eingestellt. Sofort«, sagte er.
    Das saß. »Das gibt’s doch nicht«, war das Einzige, was mir darauf einfiel. Damit hatte ich absolut nicht gerechnet. »Wie geht es den Kollegen?«, hörte ich mich nach einer kurzen Pause fragen.
    Ich war in Elternzeit und deswegen die vergangenen Wochen nicht im Büro gewesen. Jürgen musste angesichts meiner relativ coolen Reaktion den Eindruck haben, dass ich souverän und gelassen und völlig Herr meiner Lage war. Dabei war seine kurze Botschaft wie ein Schlag auf den Kopf, der offensichtlich mein Denkvermögen und mein Gefühlszentrum gravierend beschädigt hatte. Unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen und wie betäubt, telefonierte und antwortete ich völlig automatisch, wie ein Roboter. Für einen Moment war alle Energie aus mir entwichen. Regungslos hielt ich das Handy ans Ohr und konnte nicht fassen, was gerade passierte. In meinem Magen breitete sich langsam ein Gefühl aus, als hätte ich einen Reisekaugummi gegessen – flau und gedämpft.
    Ich war erleichtert, als das Gespräch endlich endete. Jetzt konnte ich mich dem Schrecken, der in mir hochkroch, hingeben, ohne nebenbei die Anforderungen einer Konversation erfüllen zu müssen. Da stand ich nun am Rande der Fußgängerzone, das Handy noch immer in der Hand. Ich war ratlos und wusste nicht, was ich machen sollte. Also tat ich das Naheliegendste: Ich suchte ziellos Zuflucht in der Käuferwelle. Wie in Trance trieb ich in die Läden hinein und wieder hinaus, bevor ich mich endlich auf den Heimweg machte.
    Die immer selben zwei Fragen schwirrten mir durch denKopf: Werden Sie mir einen anderen Job anbieten? Und: Sollte ich tatsächlich arbeitslos werden?
    Meine Kollegen und ich, wir hätten uns einen besseren Zeitpunkt aussuchen können, um unsere Stelle zu verlieren – sollte es denn so weit kommen. Deutschland steckt in der schwersten Rezession in der Nachkriegsgeschichte. Was als Krise in der Finanzbranche begann, hat die gesamte Wirtschaft erwischt. Riesige Unternehmen mit Zehntausenden von Mitarbeitern betteln plötzlich öffentlichkeitswirksam um Kredite. Kleinere Firmen, die keiner kennt, gehen still
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