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Gorki Park

Gorki Park

Titel: Gorki Park
Autoren: Martin Cruz-Smith
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    Martin Cruz-Smith
     
    Gorki Park
     
     
    Moskau
     
    Der Einsatzwagen ruckte, wühlte sich fest und blieb in einer Schneewehe stecken. Die Mordkommission stieg aus: uniformierte Beamte in Lammfellmänteln, die sich mit ihren kurzen Armen und niedrigen Stirnen alle merkwürdig ähnlich sahen. Der einzige Zivilist war ein hagerer, blasser Mann - der Chefinspektor. Er hörte sich geduldig den Bericht des Parkwächters an, der die Leichen im Schnee entdeckt hatte. Der Wächter hatte bei seinem nächtlichen Rundgang den Fußweg verlassen, um auszutreten, die drei dort liegen gesehen und wäre vor Schreck und Kälte beinahe selbst erstarrt. Die Mordkommission folgte dem Strahl des Suchscheinwerfers ihres Einsatzwagens.
    Der Chefinspektor vermutete, die armen toten Teufel seien lediglich eine Wodkatroika, die fröhlich besoffen erfroren war. Wodka, eine flüssige Steuereinnahmequelle, wurde ständig teurer. Drei Partner pro Flasche galten deshalb als Idealzahl - sowohl in bezug auf Wirtschaftlichkeit als auch auf den gewünschten Effekt.
    Auf der gegenüberliegenden Seite der Lichtung kamen Scheinwerfer näher. Baumschatten huschten über den Schnee, bis zwei schwarze Wolga-Limousinen auftauchten. KGB-Agenten in Zivil stiegen aus und kamen unter Führung des stämmigen, energischen Majors Pribluda heran. Miliz und KGB stampften gemeinsam im Schnee, um sich zu wärmen, und stießen Dampfwolken aus. Auf Mützen und Mantelkragen glitzerten Eiskristalle.
    Die Miliz - die Polizeiabteilung des MWD (Innenministerium) lenkte den Strassenverkehr, jagte Betrunkene und war für gewöhnliche Leichen zuständig. Das Komitee für Staatssicherheit - der KGB - hatte größere, subtilere Aufgaben: den Kampf gegen in- und ausländische Staatsfeinde, Schmuggler und Unzufriedene, und obwohl alle KGB-Agenten Uniformen besaßen, traten sie lieber anonym in Zivil auf. Major Pribluda war in dieser frühen Morgenstunde gutgelaunt und polternd darum bemüht, die professionelle Animosität abzubauen, die das gute Verhältnis zwischen Volksmiliz und Komitee für Staatssicherheit beeinträchtigte. Er grinste freundlich, bis er den Chefinspektor erkannte.
    »Renko!«
    »Genau.« Arkadi Renko marschierte sofort auf die Leichen zu und überließ es Pribluda, ihm zu folgen.
    Die Spuren des Parkwächters, der die Toten entdeckt hatte, führten durch den Schnee zu eigenartigen Bodenerhebungen mitten in der Lichtung. Ein Chefinspektor hätte eigentlich eine teure Zigarettenmarke rauchen sollen; Arkadi jedoch zündete sich eine billige Prima an und sog den Rauch tief ein - seine Angewohnheit, wenn er mit dem Tod konfrontiert wurde. Vor ihnen lagen drei Tote.
    Sie wirkten friedlich, wie kunstvoll arrangiert unter ihrer Schneedecke: der mittlere mit gefalteten Händen auf dem Rücken liegend, die beiden andern rechts und links mit ausgebreiteten Armen wie Schildhalter eines Wappens. Alle drei trugen Schlittschuhe.
    Pribluda drängte sich an Arkadi vorbei. »Sie können anfangen, sobald ich festgestellt habe, dass keine Belange der Staatssicherheit betroffen sind.«
    »Staatssicherheit? Major, wir haben’s hier mit drei erfrorenen Säufern in einem Stadtpark … «
    Der Major winkte bereits einen seiner Männer mit einer Kamera heran. Bei jedem Blitz leuchtete der Schnee bläulich auf, und die Toten schienen zu schweben. Die ausländische Sofortbildkamera lieferte die Farbbilder schnell, und der Fotograf zeigte sie Arkadi voller Stolz. Im vom Schnee reflektierten Blitzlicht waren die Leichen kaum zu erkennen.
    »Na, was halten Sie davon?«
    »Sehr schnell.« Arkadi gab die Fotos zurück. Um die Toten herum wurde der Schnee zertrampelt. Er rauchte irritiert und fuhr sich mit langen Fingern durch sein glattes schwarzes Haar. Dann fiel ihm auf, dass der Major und sein Fotograf nur Halbschuhe trugen. Vielleicht verschwanden die Männer vom KGB, wenn sie nasse Füße bekamen. Was die Leichen betraf, so rechnete er damit, in ihrer Nähe eine oder zwei leere Flaschen zu finden. Im Osten wurde es bereits merklich hell. Arkadi sah Lewin, den Gerichtsmediziner, am Rand der Lichtung stehen und mißbilligend den Kopf schütteln.
    »Die Leichen scheinen schon lange hier zu liegen«, stellte Arkadi fest. »In einer halben Stunde können unsere Spezialisten sie bei Tageslicht ausgraben und untersuchen.«
    »Wir sind nicht hier, um uns von Ihnen belehren zu lassen«, wehrte Pribluda ab. Er zog seine Handschuhe aus, stellte sich mit gespreizten Beinen über einen der
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