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Nur ein Augenblick des Gluecks Roman

Titel: Nur ein Augenblick des Gluecks Roman
Autoren: Dianne Dixon
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JUSTIN
    822 Lima Street, Sommer 2005
    W enn wir für eine Weile in einer Art Paradies leben wollen, dachte Justin, dann suchen wir uns Häuser wie das in der Lima Street.
    Wir suchen uns Sommerhäuser. Orte, wo die Helligkeit durch Fenster fällt, die durch das Salz des Meeres getrübt sind - oder überzogen mit einer feinen Schicht Staub aus den Bergen -, was die Räume in ein leuchtendes und gleichzeitig diffuses Licht taucht; so wie die Essenz einer kostbaren, verblassenden Erinnerung.
    Wir suchen uns Häuser, wo Holzböden dank der Liebkosungen kleiner nackter Füße so glatt sind, dass sie sich wie warmer Samt anfühlen, und wo angenehme Brisen und Puzzlespiele die Zimmer füllen. Puzzlespiele, bei denen unweigerlich einzelne Teile fehlen.
    Weil er hier in der Lima Street ein Kind gewesen war, wusste Justin, dass das Haus all diese Qualitäten besaß: die warmen Böden und angenehmen Brisen - und die Puzzlespiele.
    Als er den Wagen zum Stehen brachte, griff Amy nach seiner Hand. Rasch zog er sie fort. Sie sollte nicht merken, dass er zitterte.
    »Möchtest du, dass ich mitkomme?«, fragte sie. »Oder soll ich lieber warten?«

    Er wollte beides. Er wollte nichts von beidem. Und er sagte: »Ich möchte, dass es morgen ist. Oder eine Stunde später. Ich will, dass es vorbei ist.«
    Vor mehr als einem Jahrzehnt hatte Justin aufgehört, sich mit diesem Ort auseinanderzusetzen. Doch in all den Jahren, die dahingegangen waren, hatte er die Einzelheiten niemals vergessen. Den parfümierten, süßlichen Duft des Kleiderschranks seiner Mutter. Die Kerbe im Fensterbrett seines Schlafzimmerfensters, die einem lächelnden Clownsgesicht ähnelte. Die Fischmuster auf den meergrünen Kacheln der Badezimmerwand.
    Außerdem erinnerte er sich an seine Familie. An seine Mutter Caroline - ihre tiefe klare Stimme und die Lieder, die sie ihm beigebracht hatte.An seine Schwestern Lissa und Julie, und an das Gefühl ängstlichen Vergnügens, wenn sie ihn auf der Schaukel im Park auf der anderen Straßenseite anschoben, höher und höher. Justin erinnerte sich auch, dass er seinen Vater laufen gesehen hatte; daran, wie schnell er sich fortbewegte. So schnell, dass kein kleiner Junge ihm je hätte folgen können.
    Woran Justin sich nicht erinnerte, waren die Gründe, warum er so viel Zeit hatte vergehen lassen, ohne je in sein Elternhaus zurückzukehren oder Kontakt mit den Menschen aufzunehmen, die dort lebten.Während der Zeit, die er auf dem College verbracht hatte und der darauffolgenden zehn Jahre, in denen er sich in den Hierarchien des Hotelmanagements rasch hochgearbeitet hatte, war er stets auf dieselbe oberflächliche Antwort verfallen, sobald ihn jemand nach seiner Familie fragte: er gab nichts Substantielleres an, als dass sie in Kalifornien lebten und dass er sie gern hatte, ohne einen engeren Kontakt zu pflegen. Diese Auskunft hatte er auch Amy gegeben in jener kurzen, wirbelwindartigen Zeit,
in der er um sie geworben hatte; und nichts anderes hatte er ihren Eltern erzählt, als Amy und er sie von ihren Hochzeitsplänen unterrichtet hatten.
    Es war eine Geschichte, die Justin zahllose Male wiederholt hatte. Und jedes Mal war ihm bewusst gewesen, dass er damit die Entscheidung traf, seine Vergangenheit hinter sich zu lassen. Er wusste nur nicht warum.
    »Justin, dieses Haus ist toll.« Amys Stimme schien aus großer Ferne zu ihm durchzudringen. »Es sieht aus wie ein altmodisches, abgelegenes Ferienhaus. Und trotzdem steht es hier, keine 20 Minuten von Los Angeles entfernt.«
    Sie hörten ein leises, keuchendes Geräusch. Amy löste ihre Aufmerksamkeit von dem Haus, drehte sich um und streckte die Arme schnell zum Rücksitz aus - nach Zack. Er wachte gerade von seinem Nickerchen auf und versuchte nun energisch, sich aus seinem Kindersitz zu befreien.
    Etwas an Amys flinken und flüssigen Bewegungen erinnerte Justin an das erste Mal, als er sie gesehen hatte. In London. Sie hatte die Lobby des Hotels in einem pfirsichfarbenen Kleid durchquert, und ihre Beine waren nackt und leicht gebräunt gewesen. Justin hatte sich auf der Stelle ausgemalt, wie es sein würde, sein Gesicht zwischen diese leicht gebräunten Beine zu legen; wie ihre Hitze sich anfühlte; ob ihre Farbe genau dem Pfirsichton ihres Kleides entspräche. Und ob der Geschmack dem Geschmack von Honig ähnelte.
    Jetzt, in der Gegenwart, erfüllt von dieser merkwürdigen, irritierenden Angst, wollte Justin nichts anderes, als seinen Kopf in Amys Schoß zu legen. Bloß
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