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Gartengeschichten

Gartengeschichten

Titel: Gartengeschichten
Autoren: Eva Demski
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dieser Reise. Kluge Gedanken wie die seinen, man müsse die eigene, die Menschennatur, so zähmen, wie ein Garten die Wildnis zähme, fielen mir damals nicht ein, als ich die unter dem blauen Himmel liegenden, mit Minenwarnbändern eingefaßten Bauerngärten wiedersah. Gelb wie die Narzissen waren die Bänder und an den Stellen heruntergerissen, wo jemand eine Handvoll Kräuter, ein paar vergessene Kartoffeln oder Rüben, vielleicht sogar ein versehentlich am Leben gelassenes Huhn geholt hatte. Unter Lebensgefahr, soviel war klar. Man darf nicht mal hinter einen Baum gehen, sagte der Fahrer verschämt, aber auch zornig.
    Man konnte die muslimischen Häuser daran erkennen, daß sie vollkommen zerstört waren. Die der anderen waren oft bloß leergeräumt. Die dazugehörigen Gärten dagegen ähnelten einander. Sie zeigten bäuerliche Ordnungen, scheinbar ungerührt. Hohe, über Kreuz gegeneinandergelehnte Bohnenstangen aus dünnen, geschälten Stämmen, Reihen von Beerensträuchern, kurze Stecken für Erbsen oder Buschbohnen. Die Stangen würden wohl nackt bleiben in diesem Sommer, auch die Beerensträucher würden nicht richtig tragen, keiner hatte sie beschnitten. Aber Sonnenblumen undSalat hatten sich ausgesät, sicher würden viele Einjährige wiederkommen, Löwenmäuler oder Kapuzinerkresse. Und siehe, wie sie mir und dir / Sich ausgeschmücket haben , lobt Paul Gerhardt die überlebenden Gärten des Dreißigjährigen Kriegs voll Respekt und Freude. Als er seinen Sommergesang kaum zwanzig Jahre nach dessen Ende geschrieben hat, sah er, was wir in den verlassenen Gärten Bosniens sahen: Narcissus und die Tulipan / Die ziehen sich viel schöner an / Als Salomonis Seide.
    Das tun sie, ob nun einer hinschaut oder nicht. Später im Jahr würde der Mohn überall seine rote Seide herzeigen, auch wenn man ihn zerbombt, niedergebrannt und unter Panzerketten zermalmt hatte. Er verschwindet dann eben und versucht es im Frieden von neuem.
    Wo sind denn die Menschen und Tiere, die hierhergehörten? Hätte ich das den wortkargen, freundlichen Taxifahrer fragen müssen? Es war mir unangenehm, daß er mich für herzlos halten könnte. Ich fragte trotzdem nicht. Er setzte vielleicht voraus, daß ich es sowieso wußte.
    Bisher hatte ich den Häusern nur flüchtige Blicke zugeworfen und mich an die Gärten gehalten, es ist ja nichts Indiskretes, in einen fremden Garten zu schauen. Häuser aber, deren Innerstes nach außen gekehrt ist, die zuweilen aussehen wie ausgeweidete Kadaver – die anzustarren ist etwas anderes. Man lernt dadurch Menschen intim kennen, ohne daß sie da sind. Vielleicht kommen sie nie wieder. Bestimmt kommen sie nie wieder. Der kleine Plastiktrecker im offenen Hauseingang stand schief wie nach einem Unfall. Drinnen im Haus war es dunkel. Neben der Tür lehnte ein Paar Stiefel. Über dem Zaun hing ein bunter Rock.
    Es war furchtbar still, man hörte nicht einmal Vögel, und die überleben doch sonst fast alles. Ich versuchte mich auf dieBlumen zu konzentrieren. Wilde Traubenhyazinthen wie blaue Pfützen, die Schneeglöckchen waren längst verblüht, man sah überall ihre Blätterbündel wie wirre, grüne Haare. Keimblätter malten schnurgrade grüne Linien auf die Beete. Es war krümeliger, dunkler Boden. Guter Boden. An manchen Dachfirsten hingen noch Zwiebelbündel oder eine Art Pfefferschoten, schmale, spitze, in einem unangenehm dunklen Rot.
    Was wollte ich finden? Karahasan, der die Verwandlung seiner Stadt Sarajevo in Ruinen erlebt hat, schreibt, er habe manche von ihnen fast rituell aufgesucht, um sich an schöne Tage zu erinnern. Vielleicht ist der Wunsch, Gärten anzuschauen, gleichgültig, wo sie sind und welches Grauen sie überstanden haben, auch eine Art Ritus: Nicht, um sich an schöne Tage zu erinnern, sondern um an ihre Wiederkehr glauben zu können.
    Natürlich war das genauso hilflos wie das Gezappel aus Solidarität und gutem Willen, in das wir uns alle verstrickt hatten. Verständnis? Ich war ja nicht einmal imstande zu verstehen, daß nur so, um die Gewehre auszuprobieren, auf Schafe und Kühe geschossen worden war. Massaker an Menschen zu begreifen half kein Fernsehen und keiner der zahllosen Zeugenberichte, die in der Welt herumgeisterten. So fuhr ich weiter an den stillen Bauerngärten vorbei, die alles aufboten, was in ihnen steckte. Der Fahrer sprach kaum mit mir. Es ist mir später noch bei vielen Gelegenheiten begegnet, dieses achselzuckende Schweigen. Wir waren am Ende des
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