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Gartengeschichten

Gartengeschichten

Titel: Gartengeschichten
Autoren: Eva Demski
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Jahrhunderts angekommen, und wieder gab es eine ganze Menge Menschen, die sagten: Wer nicht dabei war, wird es nie begreifen. Unsere Eltern und Großeltern hatten das immer wieder gesagt, und wir verachteten sie dafür. Jetzt sagten es diese Menschen, von denen viele jünger waren als wir. Undwir wußten, daß sie recht hatten. Der allgegenwärtige Zorn in ihren Stimmen kam daher, daß die Welt ihnen neugierig zugesehen und sich gleichzeitig blind gestellt hatte.
    Was wird aus einem derart versehrten Landstrich? Wenn er, dachte ich, wie hier so altes Kulturland ist, wird er einfach ein wenig warten und seine Möglichkeiten bereithalten. Das war immer so, nach allen Kriegen. Die Wildnis traut sich nur zögernd auf generationenlang bearbeitetes Gebiet zurück. Und sie läßt sich bereitwillig von den zurücckehrenden Menschen wieder verdrängen. Selbst Hunderte von Jahren preisgegebene Gärten haben sich unter Brombeeren und Brennesseln wieder hervorholen lassen und ihre alten Strukturen und Schätze gezeigt.
    Immer wieder bat ich den Fahrer zu halten, und er hielt mich wahrscheinlich für verrückt, wenn ich über die Absperrbänder in die Gärten starrte. Aber vielleicht machte ihm diese Art von Verrücktheit nichts aus angesichts der anderen, die die Menschen hier mehr als tausend Tage in den Krallen gehabt hatte. Nicht hineingehen, nicht hineingehen, sagte er und machte mich auf Bäume aufmerksam, in die große Löcher gefetzt waren. Die hatte ich vorher nicht bemerkt, aber einmal darauf hingewiesen, sah ich sie überall: die angeschossenen Bäume. Der Fahrer war ein angenehmer Begleiter geworden, der zu begreifen schien, wonach ich suchte.
    Sind die Gärten Schatten, die der Paradiesgarten auf die Erde wirft? Jedenfalls erschienen sie mir als Versprechen, als Hoffnung, daß das Zivile siegen würde oder wenigstens das Nützliche. Sie brauchten sie schließlich, auch die bösartigsten Schlächter brauchten sie, und wenn sie aus den Kartoffeln nur ihren Schnaps brannten. Woran würde man die Schlächter jetzt erkennen, da sie trügerische Ruhe gaben? Wir redeten ein wenig, der Fahrer und ich, während wirzwischen flatternden gelben Bändern stille Dorfstraßen entlanggingen.
    Man brauche sie nicht zu erkennen, sagte er, man kenne sie ja. Schließlich seien es keine Fremden gewesen. Nicht eine unbekannte und unheimliche Erobererhorde hätte sie überfallen, sondern Nachbarn. Und wenn ich Massengräber sehen wolle, sagte er, könne er sie mir zeigen.
    Ich sagte verlegen, daß ich Tausende Gräber in Sarajevo gesehen hätte. Er schwieg, auf eine mich, sein Gegenüber, ausschließende Art.
    Wir waren am Beginn unserer sonderbaren Frühlingsreise nach Mostar gekommen und eine Nacht dort geblieben. Die herrliche Brücke war zerstört, aber ein Provisorium verband den Ostteil der Stadt mit dem Westteil. So dumm wir waren, das spürten wir alle: Da war keine Verbindung mehr. Ein winziges Städtchen hatte sich in zwei Teile gerissen, und das fühlte sich so unüberwindlich an wie die Berliner Mauer. Wir seien natürlich im Westteil untergekommen, sagte uns irgendein Offizieller.
    Wieso natürlich?
    Ja, also der muslimische Ostteil, es sei nicht angeraten, sich dort aufzuhalten. Außerdem gebe es keine Übernachtungsmöglichkeiten. Die westliche Übernachtungsmöglichkeit war eine karge, kalte Stube, die eine geschäftstüchtige Dame für zweihundert Dollar die Nacht vermietete. Über ihre Meinung, was die Leute von der anderen Flußseite anging, ließ sie uns nicht im unklaren. Dorthin zu gehen sei überhaupt nicht notwendig! Ein Städtchen so groß wie Regensburg, hunderttausend Einwohner, Bosniaken, Kroaten, Serben, Albaner und sonst noch allerlei, und ein sorgfältig, geradezu pedantisch aufgeteilter Haß, den die schöne Neretva symbolisieren mußte. 1993 hatten sie ihr die alte Brücke überdem Rücken weggesprengt, damit alles seine Haßordnung hätte. Ich war froh, als wir Mostar wieder verließen. Seltsamerweise fühlt man sich, wenn man so scharf geschliffenem und gut gepflegtem Haß begegnet, irgendwie dumm. Spät in der Nacht, im Westteil, in einer neueröffneten Kneipe, hockten wir in einer lauten, lustigen und sehr besoffenen Schar von Männern, und irgendeiner von uns sagte leise: Das sind vielleicht alles Mörder. Sie waren sehr freundlich zu uns, und wir konnten gar nicht so viel trinken, wie sie uns ausgaben.
    In Sarajevo waren wir dann unter uns, mehr oder weniger, angenehm untergegangen in der Masse von
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