Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gartengeschichten

Gartengeschichten

Titel: Gartengeschichten
Autoren: Eva Demski
Vom Netzwerk:
Fahrer nickte.
    Ich hatte nie zuvor einen Menschen gesehen, der so ganz bei sich und für sich zu sein schien wie dieser alte Mann mit seinem Stück Speck, zwischen Trümmern und blühenden Gärten.

Goldener Boden
    »Die alte Liebste / jenseits des Flusses / ist nicht gestorben / sie grünt wie Zweige.«
    Alfonsina Storni
    Es war ein Streifen Erde aus purem Gold, der sich von der Parkstraße zur Albanusstraße erstreckte, aber das wußte ich damals nicht. Die Gärtnerin, die ihn bearbeitete, wußte es wahrscheinlich, zog aber vor, nicht darüber nachzudenken.
    Zukunft gibt’s nicht, sagte sie. Wenn sie da ist, ist es schon keine mehr.
    Um diese schlichte Erkenntnis herum sind ganze Urwälder von Philosophie gewachsen. Als ich ihr das mit der Arroganz meiner gymnasialen Oberstufe sagte, antwortete sie: Davon wird’s nicht falscher.
    Sie hieß Anni und war viele Jahre lang meine Freundin. Die kleine Gärtnerei mitten in einem Neubaugebiet im Vordertaunus hatte sie von ihren Eltern geerbt. Sie betrieb sie allein. In der Nachbarschaft verkrochen sich noch feudale Vorkriegsvillen in großen Parks, an deren Rändern schon die Spekulanten knabberten. Es war die Zeit, da eine ganze Zeit verschwand.
    Annis Eltern hatten als Gärtnerehepaar in einer dieser Villen gearbeitet und bekamen in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts, ungeplant und wohl ungewollt, eine Tochter. Anni blieb das einzige Kind und hatte einen Park, in dem sie spielen durfte, wenn sie unhörbar und unsichtbar blieb. Sie wurde eine große Meisterin des Alleinseins, das war sie jedenfalls, als ich sie kennenlernte.
    Ich besuchte sie oft, ein paar Meter von unserem Haus entfernt war am oberen Ende der Gärtnerei ein verrostetesTörchen, das wurde meins. Ein schmaler Weg führte an alten Glashäusern vorbei, zwischen Gemüsebeeten rechts und Blumenbeeten links hindurch bis hinunter zum kleinen Wohnhaus, neben dem im Frühling Dutzende von tieflila und weißen Fliederbüschen die Vorübergehenden mit ihrem Duft zum Taumeln brachten. Es gab Sommerapfel-, Mirabellen-, Pflaumen- und Kirschbäume. Alles wurde ordentlich geerntet und verkauft, zu sehr moderaten Preisen. Mirabellen wollte allerdings niemand haben, wir nannten sie die gelbe Gefahr, weil es so viele von ihnen gab. Wenn sie reif waren, mußte man aufpassen, daß einem nicht jemand heimlich Körbe voll vor die Tür stellte.
    Anni war wohl etwas älter als meine Mutter – ihr genaues Geburtsjahr erfuhr ich nie –, eine kurze, rundliche Gestalt, ein rundes, immer gebräuntes, faltenloses Gesicht mit kleinen, eindringlichen Augen. Sie hatte lange, graue Haare, die sie in einem geflochtenen Knoten trug. Ihre Haare waren sehr dünn. Ich habe sie bis auf zwei- oder dreimal nie anders als in graubraunen oder blauen Hosen gesehen, ihr ganzes Wesen schien zu sagen: Es ist mir vollkommen egal, ob man mich sieht. Es ist nicht nötig, gesehen zu werden. Dennoch fiel niemandem ein, sie zu übersehen, und sie wurde mit Respekt, wenn auch ein wenig unsicher behandelt. Die feinen Damen, die bei ihr Gemüse kauften – Blumen lassen sie sich aus der Stadt schicken, sagte Anni –, schienen nicht genau zu wissen, wie sie mit ihr reden sollten. Hochnäsigkeit prallte an ihr genauso ab wie Leutseligkeit, sie vermochte ironisch zu sein, ohne daß ihr Gegenüber sicher sein konnte, daß sie es war. Sie sprach hochdeutsch.
    Ich fing an, stundenweise bei ihr auszuhelfen, es war die einfachste Möglichkeit, sie näher kennenzulernen. Bald ging ich fast jeden Tag gleich nach der Schule durch das obereTörchen. Ich lernte pikieren, eine Arbeit von so betörender Stumpfsinnigkeit, daß ich sie heute noch liebe. Samen waren in Schalen gesät worden, es sproß bald dicht an dicht. In Holzkisten wurde Erde gefüllt, gut angedrückt, Löcher in gleichem Abstand mit dem Pikierholz hineingebohrt – und dann kam der heikelste Teil. Mit dem spitzen Pikierholz mußte man Büschel von Sämlingen aus der Saatschale lösen und sie mit ihren fadenfeinen Würzelchen und dünnen Beinchen unverletzt und einzeln in die Löcher senken – andrücken, aber nicht zerquetschen –, und wenn der Kasten voll war, ganz sanft angießen. Wenn man das richtig gemacht hatte, entstand in wenigen Tagen ein dichter Pelz aus fetten, stabilen Pflänzchen, graugrün die Kohlrabi, maigrün der Salat, mattgrün die Tomaten. Federfein Cosmeen und Dill, pelzig Gurken, Kürbis und Zucchini, fast ölig die Auberginen. Keines glich dem anderen, ich lernte,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher