Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gartengeschichten

Gartengeschichten

Titel: Gartengeschichten
Autoren: Eva Demski
Vom Netzwerk:
IFOR-Leuten, Korrespondenten, Photojournalisten, Hilfsorganisatoren, merkwürdigen Unternehmern aller Art und der ganzen üblichen Marketenderei des modernen Krieges. Jeder wußte Bescheid, jeder konnte einem alles erklären, und unsere Jungs stürzten sich – auch sie hatten schon das eine oder andere Schlachtfeld besucht – leidenschaftlich in politische und strategische Diskussionen. Aber ich wurde mir immer fremder mittendrin, irgendwie sprachen plötzlich alle wie Friedhelm Brebeck, die heisere deutsche Stimme des belagerten Sarajevo. So ging ich in meinen nebenan gelegenen Trümmerpalast und freute mich, wenn das Wasser lief. Manchmal ging sogar die Heizung. Die Nächte waren noch kalt. Wenn keiner hinsah, goß ich die weißen Narzissen und das andere Grünzeug. Daheim hätte ich Holunder, zweifarbigen Efeu und die Kanadische Goldrute, die ihre hellgrünen Blattbüschel schon stolz zeigte, nicht sonderlich geschätzt. Hier sah ich ihre Schönheit und versuchte ihnen Gutes zu tun. Eine kleine Schar Spatzen versetzte mich in einen Glückszustand. Die Vögel der Aphrodite!
    Die wenigen Tage, die wir noch blieben, nutzte ich immerwieder dazu, nach solchen Oasen in der Stadt Ausschau zu halten. Wir hatten Ausstellungen eröffnet und Reden angehört, es war gemeinsam gegessen worden, und man hatte in einem kalten Saal ein wunderbares Cellokonzert besucht und immer wieder allerlei Pläne gemeinsamer Aufbauarbeit geschmiedet. Wir redeten mit Leuten, wir versuchten uns vorzustellen, was sie erlebt hatten, wir hörten sehr aufmerksam zu, wenn sie erzählten, was es bedeutet, belagert und beschossen zu werden. Manchmal schien es sogar, als schwände die Erbitterung in den Stimmen, als begegneten wir nicht immer wieder zum Schluß dem achselzuckenden Verstummen: Ihr versteht nicht. Keiner, der es nicht erlebt hat, versteht. Manchmal gestanden sie uns ein Begreifen zu. Dann waren wir stolz, als hätten wir was geleistet. Sie zeigten uns andere Gärten, jene, die man laut einem arabischen Sprichwort in der Tasche tragen kann und die auch Hoffnung machten: gerettete Buchbestände. Kisten voll Bücher, in Kellern, auf mit Brettern vernagelten, zugigen Hochhausfluren. Auch diese Gärten würde man nicht am Wachsen hindern können. Ich wollte aber noch einmal aufs Land. Irgend etwas wartete da auf mich, etwas anderes als unsere ungelenken Versuche, Nähe zu simulieren. Mein zerbeultes, durchlöchertes Taxi fand ich am üblichen Platz, den mittlerweile vertrauten Begleiter auch. Er lächelte sogar, und seine Kollegen riefen irgendwelche Sachen, die ich gottlob nicht verstand. Wir fuhren aus der Stadt, noch immer war herrliches Wetter, und noch immer redeten wir nicht viel. Er nahm einen neuen Weg, die Gegend kannte ich noch nicht. Sie ähnelte den vorigen: bäuerlich, blühende Gärten, zerstörte Häuser. Da, sagte er. Ich schaute auf eine offenstehende Kellertür, die knallblau gestrichen war. Offenbar frisch gestrichen. Das einstöckige Haus sah ziemlich mitgenommen aus, aber die unverschämtblaue Tür sagte: jetzt grade. In Sarajevo waren mir die vielen Keller aufgefallen, in denen Frauen mit einem uralten Fön, geschenkten Make-up-Proben und ein paar Lippenstiften Schönheitssalons aufgemacht hatten. Weise, wie sie waren, wußten sie, daß gleich nach dem Überleben das Schön-sein-Wollen kam. War hinter der blauen Tür auch so ein wunderbares Institut? Das Geheimnis der blauen Tür blieb ungelüftet, aber das machte mir nichts aus. Auf einer zertrümmerten Terrasse, ein paar Straßen weiter, sah ich hinter dem gelben Minenband einen alten Mann sitzen. Er war der erste Mensch, den ich in den leeren Dörfern sah, der erste Rücckehrer, und ich konnte mich nicht satt an ihm sehen. Irgendwoher hatte er einen Küchenstuhl geholt und ihn auf dieser Terrasse in die Sonne gestellt, auf den Knien hielt er ein Holzbrettchen, auf dem ein Stück Speck lag. Davon säbelte er mit seinem Taschenmesser etwas ab, aß es und schaute dabei in den Garten, der sich um ihn ausbreitete. Neben ihm saß eine dünne Katze, der er dann und wann ein bißchen Speck abgab. Er wandte langsam den Kopf hin und her, zu uns schaute er nicht, obwohl wir weit und breit die einzigen Menschen außer ihm waren.
    Kennen Sie ihn? fragte ich den Fahrer.
    Der schüttelte den Kopf. Wir hatten angehalten, auf der anderen Straßenseite, etwas weiter weg, damit sich der alte Mann nicht belästigt fühlte.
    Als ob den noch etwas belästigen könnte, sagte ich, und der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher