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Die Tochter des Schmieds

Die Tochter des Schmieds

Titel: Die Tochter des Schmieds
Autoren: Aufbau
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    |7| I
    – Mach meinen Mann nicht zum Mörder, habe ich ihm gesagt, halt an, mach meinen Mann nicht zum Mörder. Halt an, und laß mich
     raus, und dann verpiß dich, so schnell du kannst.
    Timur atmet hörbar aus und wendet kurz seinen Kopf ab, damit Fatma nicht sieht, wie seine Augen feucht werden. Sein Atem geht
     noch schwer. Er ist dankbar, er ist so dankbar dafür, daß das Schicksal diese Frau für ihn bestimmt hat. Sie muß am Tag seiner
     Geburt schon in sein Buch des Lebens geschrieben worden sein. Er weiß nicht, wie ihm geschehen ist, wo die Zeit geblieben
     ist.
    Gestern noch war er ein kleiner Junge, der barfuß in zerschlissenen Hosen mit seinen Freunden Birnen aus dem Garten des Nachbarn
     klaute. Der Nachbar hatte die Diebe entdeckt, alle hatten es gemerkt und waren geschwind über die Mauer gesprungen, die Hosentaschen
     und das Hemd voller Birnen. Alle bis auf Timur, der mal wieder etwas zu langsam gewesen war. Er konnte genauso schnell laufen
     wie die anderen, doch er verpaßte stets den Zeitpunkt, sich aus dem Staub zu machen. Nun stand er da, starr vor Schreck, und
     der Nachbar lief an Timur vorbei bis zur Mauer und brüllte den Flüchtenden hinterher:
    – Kommt zurück. Kommt zurück, und gebt Timur wenigstens eine Birne ab. Tolle Freunde seid ihr.
    Dann drehte er sich zu Timur um und sagte nur: Lauf. Und Timur traute sich nicht an dem Nachbarn vorbei und lief einmal quer
     durch den Garten und sprang auf der anderen Seite über die Mauer.
    Gestern noch war er ein kleiner Junge gewesen, nicht besonders gut in der Schule, nicht besonders geschickt, nicht |8| besonders angesehen unter seinen Freunden. Bis er anfing, seinem Vater in der Schmiede zu helfen, den schweren Blasebalg zu
     bedienen und große Eimer voller Wasser zu holen, in das Necmi die glühenden Eisen tauchte. Dort hatte Timur Muskeln bekommen,
     in der Werkstatt hatte er sich als tüchtig und unermüdlich erwiesen. Er hatte schnell gelernt, und es hatte ihm gefallen,
     den ganzen Tag bei seinem Vater zu sein. Es hatte ihm auch gefallen, seine neuen Kräfte auszuprobieren. Er, der früher Rangeleien
     aus dem Weg gegangen war, ließ nun keine Gelegenheit mehr aus, um seine Überlegenheit zu beweisen.
     
    Timur hatte eine Schwester, Hülya, und er konnte sich noch gut der Nacht entsinnen, in der sie geboren wurde, obwohl er damals
     gerade mal fünf Jahre alt war. Er erinnerte sich an die Aufregung im Haus und vor allem an das entschlossene Gesicht seines
     Vaters und dessen Schwur, er würde die Füße dieses Mädchens öffnen lassen, koste es, was es wolle. Öffnen, das war das Wort,
     das er gebrauchte. Hülyas Füße zeigten nach innen, die großen Zehen berührten sich, und niemand, der es sah, glaubte, daß
     sich das auswachsen würde.
    – Gott will uns prüfen, hatte Timurs Mutter Zeliha mit tränenerstickter Stimme gesagt, und Necmi hatte geantwortet:
    – Wenn es eine Möglichkeit gibt, werde ich sie finden.
    Doch der Arzt hatte gesagt, daß er hier nichts für das Kind tun könne, Necmi müsse Hülya nach Ankara bringen, wenn er wolle,
     daß ihr geholfen werde. Dort gab es Spezialisten. Er mußte sie nach Ankara bringen, und das würde nicht billig werden.
    Necmi hatte Geld, und obwohl Zeliha sich sträubte, setzten sie sich schließlich in den Zug und fuhren in die große Stadt.
    – Das ist Gottes Wille, daß ihre Füße geschlossen sind, hatte Zeliha zu ihrem Mann gesagt, doch er hatte sie einfach ignoriert.
    In Ankara erklärte ihnen der Arzt, das Mädchen sei noch zu klein, sie sollten in zwei, drei Jahren wiederkommen, dann |9| würde er sie operieren, aber versprechen könnte er nichts. Und es würde kosten.
    Unauffällig stieß Zeliha Necmi an. Sie saßen nebeneinander im Behandlungsraum, die Kleine auf Zelihas Schoß. Necmi trat seiner
     Frau auf den Fuß, erhob sich und verabschiedete sich mit seiner Mütze in der Hand. Draußen auf dem staubigen Gang sagte er:
    – Frau, ich kann nicht mit einem Arzt feilschen, ich bin kein Teppichhändler, ich bin Schmied. Und auch er ist kein Teppichhändler.
     Mir ist jeder Preis recht, wenn dieses Mädchen gesund wird. Ich habe einen Schwur getan.
    – Wir werden noch Hunger leiden, nur weil du dir etwas in den Kopf gesetzt hast. Hätte der Herr dir zu deiner Sturheit doch
     auch noch etwas Verstand gegeben, fügte sie leise hinzu.
    Sie schliefen in einem billigen Hotel und fuhren am nächsten Tag mit einem Lastwagenfahrer, der aus ihrer kleinen Stadt kam,
    
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