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Gartengeschichten

Gartengeschichten

Titel: Gartengeschichten
Autoren: Eva Demski
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wie man Pflanzen schon in ihrer frühesten Kindheit auseinanderhält. Und wieviel Arbeit sie machten. Wenn Anni dann die Setzlinge, in Zeitungspapier gewickelt, für Pfennige verkaufte, fand ich das viel zu billig. Darüber lachte sie. Mit Ungerechtigkeit war sie aufgewachsen, das war etwas ganz Normales. Am besten ließ man sich mit niemandem ein und blieb an seinem Platz.
    Die Anni ist eine Dame, sagte meine Mutter respektvoll.
    Deine Mutter ist eine echte Dame, sagte Anni zu mir.
    Sie hatte einen strengen Schönheitssinn, der völlig abstrakt war. Das heißt, sie erkannte unfehlbar Eleganz, Raffinesse oder Prächtigkeit, liebte das alles auch, machte aber keinen Versuch, sich etwas davon anzueignen. Das Innere ihres Häuschens war ärmlich, häßlich und zweckmäßig. Die Textur des Küchentischs, schrundiges, von tausend Messerschnitten zernarbtes braunes Linoleum, sehe ich heute noch vor mir. Ein Kohleherd, Stühle, ein schmutzigweißes Küchenbuffet,verblichene Decken und Kissen für die Katzen. Von denen gab es eine ganze Schar. Ein paar zähe und pragmatische, die ihrer Besitzerin glichen, überlebten die nahe Hauptstraße und ein Dutzend Katzenseuchen und wurden alt. Einmal sah ich ihr Schlafzimmer im ersten Stock, es war genauso desinteressiert karg wie der Rest des Häuschens. Ihr einziger Wandschmuck war der Jahreskalender von der Sparkasse. Sie war nicht ordentlich, auch nicht in ihrem Garten – nur soweit es die Nützlichkeit erforderte. Also grade, nicht zu breite Beete, hohe Stauden in der Mitte, niedrigere am Rand, bequeme Trittwege, gezähmtes Unkraut. Wenn ihr eins gefiel, ließ sie es stehen, besonders an verrückten Plätzen. Eine riesige Distel hatte sich mitten auf dem Hauptweg, der ihr schmales Grundstück teilte, angesiedelt. Sie wurde übermannshoch und verzweigte ihr Stachelgerüst meterbreit, ehe sie es mit unzähligen lila Blüten schmückte. Und bunt wie fliegende Juwelen kamen Dutzende von Distelfinken, um die Samenkapseln abzuzupfen. Das Ökologische – das Wort war noch neu – interessierte sie gar nicht, niemals hätte sie wegen irgendwelcher Raupen Brennesseln stehenlassen. Es ging ihr um Schönheit.
    Im Frühjahr belieferte sie die besseren Blumenläden in der Stadt mit Primelsträußchen. Das hieß, am Rand des Beetes knien, mit zwei Fingern so tief wie möglich in die Blattnester greifen, damit die Stiele nicht zu kurz waren, fünfzehn Blütchen in verschiedenen Farben, sieben möglichst fehlerfreie Blätter drum herum, ein Bastfädchen und ab in eine Schüssel mit kaltem Wasser. Und das so lang, bis auf dem Beet nur noch Knospen, die sich in den nächsten Tagen öffnen würden, übrig waren. Dann saßen wir einträchtig am Küchentisch, kontrollierten die Bukettchen, schnitten die Bastfadenenden ab und ersetzten manchmal ein fleckiges Blatt durch einneues, makelloses. Im Kofferradio liefen Schlager, und wir tranken gespritzten Apfelwein, selbstgekelterten. Anni redete, ich hörte zu. Manchmal war es umgekehrt.
    Mir hat ja niemand was vom Leben erzählt, sagte sie. Und daß sie schon dreißig gewesen sei, als einer sie verführt habe.
    Hinten im Garten, endlich! sagte sie und lachte.
    Der Liebhaber war verheiratet und um einiges älter als sie. Die Sache, die er ihr beigebracht hatte, gefiel ihr gut. Sie wollte mehr davon.
    Wenn sie über die Liebe sprach, tat sie es in einem trockenen Ton, als spräche sie über Pflanzpläne fürs nächste Jahr oder die Wasserkosten. Ich war noch altersbedingt romantisch vernebelt und verstand sie nicht. Dabei war es ganz einfach: Sie war sehr spät hinter eine wunderbare Sache gekommen, die ihr großes Vergnügen bereitete. Warum also darauf verzichten? Man hätte denken können, daß in dem kleinen und mißtrauischen Kaff über sie geredet würde – aber niemand bemerkte etwas von Annis nächtlichem Gartenleben. Es wäre ihr auch gleichgültig gewesen, sie gab nichts auf die Leute. Sie bemühte sich überhaupt nicht um Geheimhaltung, deswegen gelang sie ihr perfekt. Auch als sie anfing, junge Untermieter in ihr Häuschen zu nehmen, fand das jeder vollkommen normal. Es wäre nicht einmal den schandmäuligsten Dorfschwätzerinnen eingefallen, die kleine, gegerbte Frau mit dem grauen Dutt in Verbindung mit sommernächtlichen Leidenschaftsausbrüchen zu bringen.
    Die Untermieter wechselten, aber ihren ersten Liebhaber behielt sie. Ich weiß nicht, ob er etwas ahnte. Anni verstand zu schweigen wie niemand anderer, den ich kannte. Sie war
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