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Gartengeschichten

Gartengeschichten

Titel: Gartengeschichten
Autoren: Eva Demski
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Gartens nach und nach völlig in elterliche Gewalt – gelegentlich auch in ihre widerstreitende Macht – geriet, hielt sich im unteren Teil immer ein wenig von der vergangenen glücklichen Wildnis. Die alten Obstbäume hatten alle stehenbleiben dürfen und standen auch noch, als die drei Trauerweiden, auf die mein Vater beim Einzug bestanden hatte, ihr ungestümes Gastspiel längst hatten beenden müssen. Der Wunsch, im Wasser badende Weidenzweige betrachten zu können, war mit drei derart besitzergreifenden Monstern im Garten offenbar zu teuer bezahlt.Weiden gehören an Bäche und Tannen in den Wald, wer es anders haben will, wird das bereuen. In kurzer Zeit hatten die Trauerweiden vom oberen Gartenteil Besitz ergriffen, unter ihnen war Wüste, neben ihnen kein Leben, und so wurden sie abgeholzt. Ein breiter Baumstumpf blieb übrig. Meine Mutter stellte einen Korb Geranien drauf. Manchmal streckte der Stumpf ein paar Zweige aus, nur mal so, um zu probieren, ob man es vielleicht wieder mit dem Wachsen wagen könnte? Aber die Gartenbesitzer waren gewarnt und paßten auf.
    Seit dem Weidenexperiment hatte meine Mutter Oberwasser, und so entstand ihre bewunderte, kontrolliert wild blühende Simulation eines Bauerngartens mit Rosen, Margeriten, Schafgarben, Cosmeen, Schwertlilien und noch hundert anderen Blumenarten, in jeder Jahreszeit blühte irgendwas Schönes. Es gelang meiner Mutter, einer eleganten Städterin, die Blumen bisher nur mit Papier drum herum gekannt hatte, in wenigen Jahren die Geheimnisse eines Gartens zu entschlüsseln. Wahrscheinlich hat sie auch erkannt, daß der Garten die einzige Möglichkeit für sie war, ohne zu trauern alt zu werden.
    Sie hatte vor dem Alter immer Angst gehabt. Entsetzlich, wenn nicht einmal die Bauarbeiter mehr pfeifen, sagte sie.
    So wanderten die Schiaparelli- und St.-Laurent-Kleider in den Keller, ordentlich in alte Bettbezüge gehüllt wie in Leichentücher. Meine Mutter trug fürderhin Overalls, und wenn sie ihrer Schönheit nachtrauerte, ließ sie es keinen merken. Sie hatte der Welt den Rücken zugedreht und sah dafür ihrem Garten ins Gesicht. Sie war und ist nicht die einzige Frau, die das so macht, ob sie es sich eingesteht oder nicht.
    Ein Garten ist eine von allen respektierte Art, der Welt mitzuteilen, daß sie einen nicht mehr interessiert. Da meineMutter jeden Morgen um fünf Uhr Deutschlandfunk hörte und auch sonst keine Nachrichtensendung, keinen Dokumentarfilm über Pharma-, Wirtschafts-, Korruptions- und sonstige Politikskandale versäumte (nur solche über Tiertransporte konnte sie nicht anschauen), hatte sie eine ebenso klare wie düstere Meinung über das Leben. Von außen hätte man ihres für komfortabel, ja sogar glücklich halten können, aber das war es nicht. Sie war eine jener Pessimistinnen, die grade deshalb die schönsten Gärten zustande bringen. Sie zeigen nämlich der verrotteten, dreckigen und kranken Gegenwart, wie sie aussehen könnte, wenn gärtnerische Vernunft regierte. Plato wollte Philosophen als Könige haben, meine Mutter Gärtner. Natürlich keine professionellen, die waren Teil des weltweiten Mörder- und Vergifterkartells.
    Es gelangen ihr geniale Kombinationen von Farben und Pflanzen, ich beneidete sie um vieles und konkurrierte niemals – ich mit meinem »Handtuch«. Zu Lebzeiten meines Vaters durfte sie keinen Kitsch aufstellen und hielt sich mit Geschenken an mich schadlos, Steinamphoren und allerlei Terrakotta. Ein abstraktes eisernes Gebilde, das er als Kunstwerk ernster Art in Sichtweite des Hauses auf den Rasen betoniert hatte, bepflanzte sie mit Clematis der Sorte Montana Rubens, ein wunderbares und temperamentvolles Gewächs, unter dem man auch das Frankfurter Polizeipräsidium schnell unsichtbar werden lassen könnte, wenn man nur wollte.
    In kurzer Zeit war aus dem Kunstwerk eine duftige, aber kompakte Wolke geworden, im April mit Hunderten von vierblättrigen rosa Blüten bedeckt, die sich in kleine gelbe Knöpfe und dann in sehr dekorative weiße Spiralnebelchen verwandelten. Wenn man etwas zu einem schönen Verschwinden bringen will, ist die Montana Rubens allererste Wahl.
    Mein Vater hängte trotzig eine verdrehte, bearbeitete und etwa mannshohe Wurzel so hoch an die Hauswand, wie es ging, und sagte, die sei schließlich Natur, irgendwie.
    Die Favoriten meiner Mutter wechselten. Sie ging mit Pflanzen um wie ein Intendant mit seinen Schauspielern. Wer in einer Spielzeit zu viele Hauptrollen hatte, mußte sich in
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