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Gartengeschichten

Gartengeschichten

Titel: Gartengeschichten
Autoren: Eva Demski
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sehr. Auch mein Vater, den er als Gartenpläne schmiedenden Zeus in Erinnerung zu haben schien. Die Rosen blühten im ersten Sommer nach ihrem Tod noch verrückter als sonst, und ich hörte noch immer ihre nachdenkliche Stimme, mir schien, als deute sie mir über die Schulter auf ihre lachsfarbenen Sorgenrosen: Da, jetzt geben sie sich endlich Mühe, wenn man sie nicht mehr braucht.



Sie hatte gewußt, daß ich ihren Garten nie übernehmen würde. Aber sie war sich sicher, noch viel Zeit zu haben, bis Entscheidungen getroffen werden mußten. Immer wieder hattesie über den Verkauf des Hauses geredet, eine kleinere Wohnung mit Terrasse in der Stadt erwogen: Man wird nicht jünger, und ich bin allein.
    Das ging mich an, aber ich habe nicht geantwortet. Sie wäre ohne ihren Garten tatsächlich allein gewesen, und niemand hätte etwas daran ändern können, auch ich nicht.
    Ich schaute mir noch einmal alles an, bevor ich mich endgültig verabschiedete.
    Von der Kletterhortensie nahm ich einen Ableger mit. Der kränkelte ein paar Jahre bei mir herum, bis er mit mir einverstanden war. Dann eroberte er zügig eine ganze Wand und das Garagendach und bestreut seither Mensch und Tier Ende Mai verschwenderisch mit weißen Sternchen.
    Den Katzenfriedhof gab ich in die Fürsorge zweier kleiner Mädchen, Töchter der Käufer, die das sehr romantisch fanden. Auf die nekrophile Ader von Kindern kann man sich verlassen. Sie erinnerten mich an mich selber. Was hätte ich in ihrem Alter nicht für einen eigenen Friedhof gegeben.
    Adieu Sommeräpfel, die schaumig schmeckten, wenn man hineinbiß, adieu launischer Zwetschgenbaum, Spender von Überfluß oder totalem Mangel, wie es ihm paßte, ja, und adieu Schattenmorelle, Trägerin der besten Sauerkirschen, die ich je gegessen habe. Sie hatten eine hauchdünne Haut, und wenn man sie entsteinte, flossen Ströme von köstlichem Kirschblut. Man kriegte die Hände tagelang nicht sauber.
    Mit den Produkten von der eigenen Scholle war es auch bei meinen Eltern eine besondere Sache. Ich glaube, sie konnten beide nicht fassen, daß zwei Intellektuellen, wie sie es waren, die Erzeugung von eßbarem Obst und, in sehr bescheidenem Rahmen, sogar von Gemüse gelang. Daran erkennt man zuverlässig Gartenbesitzer, die ursprünglich Städter waren: Ein selbstgezogenes Radieschen, eine Handvoll Schnittlauch,eine Schüssel Kirschen lösen eine gleichsam sakrale Zeremonie des Aufessens aus.
    Ich brachte es nicht fertig, mich vom Aprikosenbaum meiner Mutter, der jetzt Früchte mit rotgetupften Bäckchen trug, zu verabschieden. Sie hatte ihre Aprikosen immer gegen uns verteidigt – nicht aus Geiz, sondern weil mein Vater und ich nicht den richtigen Reifegrad abwarteten. Manchmal hatte ich sie in ihrem dreckigen Overall an der Spalierwand stehen sehen, schmal, mit ihren kurzen schwarzen Haaren und ihrem schönen Profil, und eine Aprikose wie eine Hostie verspeisen. Es war übrigens schon ihr zweiter Baum gewesen, Aprikosenbäume werden nicht alt.
    Am Tag des Abschieds kam mir der Garten plötzlich kleiner vor. Das ist eine alte Geschichte bei Kindheitsgärten. Aber dieser hier war kein Kindheitsgarten für mich gewesen, dieses fast genau dreißig Jahre lang bearbeitete, immer wieder veränderte, geliebte und vielbenutzte Stück Erde war Elternland. Aus einer schönen Wildnis hatten sie den Garten gemacht, dann war er seiner eigentlichen Regentin, meiner Mutter, ganz zugefallen. Sie hätte ihn ohne Hilfe wohl nicht mehr allzulang beherrschen können, aber das war kein Trost. Es gab überhaupt keinen Trost, nur den Gleichmut der Blumen, die wuchsen wie die Jahre zuvor und ihre Farben zeigten, ob jemand sie anschaute oder nicht. Ich hatte im Juni die alten Steintröge bepflanzen lassen, mit Petunien, wie meine Mutter es immer getan hatte. Nie wäre mir in den Sinn gekommen, einmal, zum letztenmal, andere Blumen zu nehmen, obwohl ich Petunien nicht mag.
    Ich habe ihren Garten danach nie wiedergesehen. Aber ich bin sicher: Ich würde sie dort wiederfinden, jetzt noch, nach all den Jahren.

Wo die Liebe hinfällt
    »Ich wußte nicht, daß ich diesem Stück Welt / So unwiderruflich verwachsen bin. / Es kam mir bisher niemals in den Sinn, / Daß es mich wirklich am Leben erhält.«
    Eva Strittmatter
    Eva Strittmatters Gedicht Grasnelken beschreibt ein Stück märkischen Sands, karg und trocken. Es handelt von der Liebe. In diesem Fall zum Boden, auf dem man zu Hause ist, dem man vertraut und dem man etwas zu
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