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Gartengeschichten

Gartengeschichten

Titel: Gartengeschichten
Autoren: Eva Demski
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Fernsehen hatte sehen können. Wir beiden Frauen wußten nicht so recht, wie man das macht: die Hinterlassenschaften eines Krieges zu betrachten. Meine Kollegin I., Jahrgang 1930, hatte immerhin schon einen erlebt. Ich nicht.
    Im Frühjahr 1945 war auch so schönes Wetter, sagte I., als seies eine tröstliche Gewißheit, daß auf Katastrophen ein herrlicher Frühling folgt.
    Hellgrün, gelb und weiß waren die Gärten am Rande von Sarajevo und mit flatternden gelben Bändern umgeben, die vor Minen warnten. Was auffiel: Es gab nirgendwo Tiere. Bauerngärten ohne Tiere hatte ich noch nie gesehen, nichts bewegte sich. Kein Huhn, das an Blättchen pickte, kein Hund am Tor, keine Katze auf den verlassenen Strohhaufen. Nur Stille und überall leuchtende Armeen von Narzissen, die triumphierend aufmarschiert waren. Narzissen sind ganz besondere Blumen. In den bosnischen Gärten blühten hauptsächlich die gelben, die auch Osterglocken genannt werden. Von der floralen Industrie werden sie hier bei uns ab Januar als Bündel, knospig, mit angetrockneten Stielenden für ein paar Cent verhökert. Was für königliche Blumen sie eigentlich sind, sahen wir in den verstummten, verlassenen Gärten dieser seltsamen bosnischen Nachkriegszeit. Die Narzissen sahen aus wie Sieger mit ihren gelben Trompeten.



In Sarajevo hatte ich die Wahl zwischen einem sehr teuren Kämmerchen im Hotel Bosna und einem großen Raum in einem halbzerstörten leerstehenden Haus daneben. Platz gab es dort genug, und am Fuß der wackligen Treppe, die zu meinem Reich führte, den Rest eines kleinen Gartens. Hier waren es die weißen, die sogenannten Dichternarzissen, die so stark bis zu mir hinauf dufteten, daß mir der identische Stamm der beiden Wörter Narzisse und Narkose plötzlich klar wurde. Betäubungsmittel aller Art konnte man hier gut brauchen. Nebenan in der Bar des Hotels Bosna, einem mit wilden Kerlen in khakifarbenen Nahkampfjacken, tollkühnen Damen und Rauch überfüllten Ort wie aus einem Vierzigerjahrefilm, wußte man das und trank viel Wodka. Die eigenartige Verlegenheit aber war auch dort zu spüren, manversuchte sie lärmend zu übertönen und ahnte doch, daß man für dieses Stück den Text nicht konnte.
    Sehr früh am Morgen schaute ich aus meinem zerschossenen Eigenheim auf Zeit und sah eine Frau, die einen großen Philodendron in ein Haus auf der anderen Seite der Straße schleppte. Die Balkone der Häuser ringsum sahen aus, als könnten sie nicht einmal mehr einen Vogel tragen – aber sie standen voller bepflanzter Töpfe. Ich erkannte kleine Tomatensämlinge und Rosmarin. Es waren Rudimente, Erinnerungen, Wiedererweckungen von Gärten, die man überall sehen konnte. Man hätte auch Kapitulation in dem Grünzeug vermuten können, ein Sich-Bescheiden nach dem knappen, zornerfüllten Überleben. Das wollte ich aber nicht. Jedes Petersilienbüschel war für mich ein Beweis für die Möglichkeit von Hoffnung.
    Der Zoo von Sarajevo grünte verschwenderisch, weiße Blütenwolken schwebten über ihm. Vom Hügel gegenüber sahen die Käfiggitter zart aus, sie störten das Frühlingsbild nicht. Tiere gab es auch hier keine mehr, dafür eine Menge herzzerreißender Geschichten über sie, die ich nicht hören wollte.
    Wir hatten alles, sagte unsere Dolmetscherin M. in dem zornigen Ton, in dem viele Menschen hier sprachen. Die schönsten Parks, die beste Bibliothek, die Olympischen Spiele.
    Mir schien, als richte sich ihre Wut nicht mehr hauptsächlich gegen die Zerstörer ihrer Stadt, sondern gegen uns, die wir nicht zu begreifen, nicht zu glauben schienen, was sie einst gewesen war.
    Nun bedeckten in dieser versehrten Stadt Gräber die Rasenflächen der Parks, Hunderte, Tausende von Gräbern. Wie armselig, immer wieder nach Gärten Ausschau zu halten, dachte ich, als könnten die irgend etwas beweisen, eine ArtUnsterblichkeit vielleicht? Lächerlich. Aber ich konnte nicht anders. So fuhr ich mit einem zerschossenen Taxi allein zurück aufs Land. Den Fahrer hatte ich mir ausgesucht, einen ruhigen, älteren Mann, der ein paar Worte Deutsch sprach. Er trug nicht die von Ausländern bevorzugte Abenteurerkleidung, die aus dem Fernsehen bekannte war fashion , sondern einen sorgfältig gebügelten, abgetragenen Sonntagsanzug. Wohin ich wollte? Einfach hinaus, auf die Dörfer, sagte ich. Er fragte nicht weiter und fuhr los.
    Dževad Karahasan, der Dichter aus Sarajevo, hat über Gärten geschrieben. Ich las sein Buch der Gärten viele Jahre nach
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