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French, Tana

French, Tana

Titel: French, Tana
Autoren: Sterbenskalt
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die Telefonnummer von den Dalys zu besorgen, ihnen den verdammten Koffer
vor die Tür zu knallen und Holly wieder zu mir auf die El Rancho Lyncho zu holen,
ehe sie ins Bett musste. Aber ich wusste, dass das so nicht hinhauen würde.
Diese Straße und dieser Koffer hatten lange auf meine Rückkehr gewartet. Jetzt,
wo sie mich am Haken hatten, würde das, was sie für mich aufgehoben hatten,
wesentlich mehr Zeit kosten als einen Abend.
     
    Der Brief
enthielt das absolute Minimum an Teenager-Melodramatik; darin war Rosie immer
gut gewesen.
     
    Ich weiß, das wird ein Schock sein, und es tut mir leid,
aber ich schwöre, ich wollte nie irgendwem was vormachen, niemals. Aber ich hab
wirklich lange darüber nachgedacht, und nur so sehe ich eine echte Chance auf
das Leben, das ich möchte. Ich wünschte bloß, ich müsste dafür niemanden
verletzen /kränken /enttäuschen. Es wäre toll, wenn mich gute Wünsche in mein
neues Leben in England begleiten würden!!, aber ich verstehe auch, wenn das
nicht geht. Ich schwöre, ich komme irgendwann zurück. Bis dahin, mit ganz,
ganz, ganz viel Liebe, Rosie.
    Zwischen
dem Moment, als sie den Brief im Haus Nummer 16 auf den Boden gelegt hatte, in
dem Zimmer, wo wir uns das erste Mal geküsst hatten, und dem Moment, als sie
ihren Koffer über irgendeine Mauer hieven wollte, um zu machen, dass sie
wegkam, war irgendetwas passiert.
     
    2
     
    faithful place findet man nur, wenn man weiß, wo man suchen muss.
Der Stadtteil Liberties wuchs über Jahrhunderte hinweg ganz von allein, ohne
Hilfe von Stadtplanern, und Faithful Place ist eine schmale Sackgasse, die sich
mittendrin versteckt wie ein falscher Abzweig in einem Irrgarten. Sie liegt
nur zehn Gehminuten vom Trinity College und der schicken Einkaufszone um die
Grafton Street entfernt, aber damals, zu meiner Zeit, gingen wir nicht zum
Trinity, und die Trinity-Typen hielten sich von uns fern. Die Gegend war eigentlich
nicht unsicher - Fabrikarbeiter, Maurer, Bäcker, Arbeitslose und der ein oder
andere Glückspilz, der bei Guinness arbeitete und eine anständige
Gesundheitsversorgung und Fortbildungskurse bekam —, bloß irgendwie in sich
geschlossen. Der Name Liberties entstand vor hundert Jahren, weil die Bewohner
eigene Wege gingen und eigene Regeln befolgten. In meiner Straße lauteten die
Regeln wie folgt: Egal, wie knapp du bei Kasse bist, wenn du in den Pub gehst,
schmeißt du eine Runde; wenn dein Kumpel in eine Schlägerei gerät, bleibst du
dabei und holst ihn da raus, sobald du Blut siehst, damit keiner das Gesicht
verliert; Heroin überlässt du den Leuten in Ballymun; selbst wenn du diesen
Monat gerade ein anarchistischer Punkrocker bist, gehst du am Sonntag in die
Kirche; und du verpfeifst niemanden, niemals, unter gar keinen Umständen.
    Ich parkte
ein paar Minuten entfernt und ging das restliche Stück zu Fuß. Meine Familie
musste nicht unbedingt wissen, was für ein Auto ich fuhr oder dass ich einen
Kindersitz auf der Rückbank hatte. Die Abendluft in den Liberties fühlte sich
noch immer gleich an, mild und unruhig, Chipstüten und Bustickets wurden von
Böen aufgewirbelt, aus den Pubs tönte raues Stimmengewirr. Die Junkies, die an
den Ecken herumlungerten, trugen mittlerweile Klunker zu ihren Trainingsanzügen,
ein besonders weltmännischer Modetrend. Zwei von ihnen taxierten mich und
bewegten sich in meine Richtung, doch als sie mein breites Haifischlächeln
sahen, überlegten sie es sich anders.
    Faithful
Place besteht aus zwei Reihen á acht Häusern, alte Backsteinbauten mit Stufen,
die zur Eingangstür hinaufführen. Damals in den Achtzigern beherbergte jedes
Haus drei oder vier Haushalte, vielleicht mehr. Unter Haushalt fiel alles, von
Mad Johnny Malone, der Soldat im Ersten Weltkrieg gewesen war und immer gern
seine Ypern-Tätowierung zeigte, bis hin zu Sallie Hearne, die nicht direkt eine
Nutte war, aber irgendwie die vielen Kinder ernähren musste. Wer arbeitslos
war, bekam eine Erdgeschosswohnung und Vitamin-D-Mangel. Wer Arbeit hatte, bekam
wenigstens einen Teil des ersten Stocks. Wenn eine Familie schon seit ein paar
Generationen dort lebte, wurde sie vorrangig behandelt und durfte im obersten
Stockwerk wohnen, wo keiner ihr auf dem Kopf herumtrampelte.
    Orte
kommen einem meist kleiner vor, wenn man nach langer Zeit an sie zurückkehrt,
doch meine Straße sah einfach schizoid aus. Ein paar Häuser waren schick
modernisiert worden, mit Doppelverglasung und einem lächerlichen,
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