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French, Tana

French, Tana

Titel: French, Tana
Autoren: Sterbenskalt
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verraten.«
    »Schwörst
du?«
    Sie
grinste und malte mit einem Finger ein Kreuz über ihrem Herzen auf die weiche
weiße Haut, knapp über der Öffnung ihrer Bluse. »Ich schwöre.«
    »Er hat
wirklich einen Stahlträger abgefangen, der fast runtergefallen wäre. Und wenn
er das nicht gemacht hätte, wäre das Ding auf Paddy Fearon gestürzt, und Paddy
wäre heute Abend nicht auf zwei Beinen nach Hause gegangen.«
    »Aber
...?«
    »Aber der
Träger wäre beinahe von einem Stapel unten im Hof gerutscht, und Ger hat ihn
festgehalten, ehe er Paddy auf die Zehen fallen konnte.«
    Rosie
lachte los. »Dieser Angeber. Das ist mal wieder typisch, echt. Als wir noch
klein waren, so acht oder neun, hat Ger uns allen weisgemacht, er hätte
Diabetes und müsste sterben, wenn wir ihm nicht mittags in der Schule unsere
Kekse abgeben würden. Er hat sich überhaupt nicht verändert, oder?«
    Unten
kreischte Julie: »Lass mich runter!«, aber nicht so, als meinte sie es ernst.
Ich sagte: »Nur inzwischen hat er's nicht mehr bloß auf Kekse abgesehen.«
    Rosie hob
ihre Flasche. »Und er macht seine Sache gut.«
    Ich
fragte: »Wieso versucht er eigentlich nicht, dir zu imponieren, so wie den
anderen?«
    Rosie
zuckte die Achseln. Ihre Wangen hatten sich zartrosa verfärbt. »Vielleicht weil
er weiß, dass es mir egal wäre.«
    »Im Ernst?
Ich dachte, alle Mädchen sind hinter Ger her.«
    Noch ein
Achselzucken. »Nicht mein Typ. Ich steh nicht auf große Blonde.«
    Mein Puls
schaltete noch einen Gang höher. Ich versuchte, Ger, der mir ehrlich noch was
schuldig war, per Gedankenübertragung zu signalisieren, dass er Julie nicht
runterlassen und dafür sorgen sollte, dass keiner wieder hierher nach oben kam;
jedenfalls nicht in den nächsten ein oder zwei Stunden oder am besten nie mehr.
Nach einem Moment sagte ich: »Die Halskette steht dir gut.«
    Rosie
sagte: »Hab ich ganz neu. Der Anhänger ist ein Vogel. Guck mal.«
    Sie
stellte die Flasche ab, zog die Füße an und kam auf die Knie, hielt mir den
Anhänger hin. Ich rutschte über die sonnengestreiften Bodendielen und kniete
mich vor sie. So nah waren wir uns seit Jahren nicht gewesen.
    Der
Anhänger war ein silberner Vogel mit ausgebreiteten Schwingen und winzigen
Federn aus irisierender Abaloneschale. Als ich den Kopf darüberneigte, zitterte
ich. Ich hatte schon öfter mal Mädchen angequatscht, vorlaut und großspurig,
für mich kein Problem. In diesem Moment hätte ich für einen cleveren Spruch
meine Seele verkauft. Stattdessen sagte ich idiotisch: »Das ist hübsch.« Ich
griff nach dem Anhänger, und meine Finger berührten Rosies.
    Wir
erstarrten beide. Ich war ihr so nah, dass ich sehen konnte, wie sich ihre
weiche weiße Haut unten am Halsansatz mit jedem schnellen Herzschlag hob, und
ich wollte das Gesicht darin vergraben, hineinbeißen, ich hatte keine Ahnung,
was ich wollte, aber ich wusste, dass mir sämtliche Blutgefäße im Körper
platzen würden, wenn ich es nicht tat. Ich konnte ihr Haar riechen, luftig und
zitronig, betörend.
    Es war ihr
beschleunigter Herzschlag, der mir den Mut gab, aufzublicken und Rosie in die
Augen zu sehen. Sie waren riesig, nur Schwärze mit einem grünen Rand, und ihre
Lippen waren geöffnet, als hätte ich sie erschreckt. Sie ließ den Anhänger
fallen. Wir konnten uns beide nicht bewegen, konnten beide nicht atmen.
    Irgendwo
ertönten Fahrradklingeln, und Mädchen lachten und Mad Johnny sang noch immer. »I
love you well today, and I'll love you more tomorrow ...« Alle
Geräusche lösten sich auf und verschmolzen in dieser gelben Sommerluft wie ein
einziges melodisches Glockengeläut. »Rosie«, sagte ich. »Rosie.« Ich streckte
ihr die Hände entgegen, und sie drückte ihre warmen Handflächen auf meine, und
als unsere Finger sich verschränkten und ich sie an mich zog, konnte ich es
nicht fassen, ich konnte mein Glück nicht fassen.
     
    In dieser
Nacht suchte ich, nachdem ich die Tür geschlossen und Nummer 16 leer
zurückgelassen hatte, die Teile meiner Stadt auf, die Bestand haben. Ich ging
Straßen hinunter, deren Namen aus dem Mittelalter stammten, Copper Alley,
Fishamble Street, Blackpitts, wo man die Pesttoten begraben hatte. Ich suchte
nach glatt abgelaufenem Kopfsteinpflaster und vom Rost dünngefressenen
Eisengeländern. Ich fuhr mit der Hand über die kühlen Steinmauern des Trinity
College und überquerte die Stelle, wo die Stadt neunhundert Jahre zuvor ihr Wasser
aus St. Patricks Quelle geschöpft hatte. Das
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