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French, Tana

French, Tana

Titel: French, Tana
Autoren: Sterbenskalt
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anzukämpfen, und nicht mehr auf
meiner Seite.
    Ich nahm
den Brief nicht mit. Als ich Nummer 16 wieder verließ, kannte ich ihn auswendig
und würde den Rest meines Lebens versuchen zu glauben, was drinstand. Ich ließ
ihn liegen und ging zurück ans Ende der Straße. Ich wartete dort im Schatten,
beobachtete die Dampfwolken, die mein Atem im Laternenlicht aufsteigen ließ,
während die Glocken drei und vier und fünf schlugen. Die Nacht verblasste zu
einem dünnen, traurigen Grau, und ein Milchkarren kam um die Ecke, rumpelte
übers Kopfsteinpflaster in Richtung Molkerei, und ich wartete noch immer auf
Rosie Daly oben am Faithful Place.
     
    1
     
    mein vater hat
mir mal gesagt , jeder Mann sollte wissen, wofür er bereit wäre
zu sterben, das wäre das Wichtigste. Wenn du das nicht weißt, sagte er, was bist
du dann wert? Nichts. Dann bist du kein richtiger Mann. Ich war
dreizehn, und er hatte schon eine Dreiviertelflasche Gordon-Whiskey intus, aber
trotzdem, ein guter Spruch. Wenn ich mich recht entsinne, war er bereit, für
Folgendes zu sterben: a) Irland, b) seine Mutter, die da schon zehn Jahre tot
war, und c) um das Miststück Maggie Thatcher zu erledigen.
    Dennoch,
seit damals hätte ich in jedem Augenblick meines Lebens wie aus der Pistole
geschossen sagen können, wofür ich bereit wäre zu sterben. Zuerst war das ganz
leicht: meine Familie, meine Freundin, mein Zuhause. Später wurde es eine
Zeitlang komplizierter. Heutzutage bleibt es stabil, und das gefällt mir. Es
kommt mir vor wie etwas, worauf ein Mann stolz sein kann. Ich wäre bereit, für
meine Stadt zu sterben, meinen Job und mein Kind, vielleicht nicht unbedingt in
dieser Reihenfolge.
    Das Kind
ist bislang ganz gut geraten, die Stadt ist Dublin, und der Job ist in der
Undercoverabteilung, daher scheint offensichtlich, wofür ich am ehesten
sterben könnte, aber es ist ein Weilchen her, seit die Arbeit mir etwas
Beängstigenderes beschert hat als einen Riesenhaufen Papierkram. Die Größe des
Landes hat zur Folge, dass ein Undercovercop ein kurzes Verfallsdatum hat; zwei
Einsätze, vielleicht vier, dann wird das Risiko aufzufliegen einfach zu groß.
Ich hab meine neun Leben schon vor langer Zeit aufgebraucht. Ich bleibe
vorläufig hinter den Kulissen und leite eigene Operationen.
    Das
eigentliche Risiko bei der Undercoverarbeit, ob im Einsatz oder nicht, ist
Folgendes: Du erzeugst so lange Illusionen, dass du schließlich glaubst, alles
im Griff zu haben. Es ist leicht, dem Glauben zu verfallen, du wärst der
Hypnotiseur, der Meister der Illusion, der helle Kopf, der weiß, was real ist
und wie alle Zaubertricks funktionieren. Tatsache ist, auch du bist und bleibst
bloß eine staunende Zielscheibe im Publikum. Ganz gleich, wie gut du bist, die
Welt wird in diesem Spiel immer besser sein. Sie ist gerissener als du, sie ist
schneller, und sie ist um einiges skrupelloser. Du kannst lediglich versuchen
mitzuhalten, deine Schwachstellen zu kennen und niemals aufzuhören, mit dem
Schlag unter die Gürtellinie zu rechnen.
    An einem
Freitagnachmittag Anfang Dezember holte mein Leben das zweite Mal für den
Schlag unter die Gürtellinie aus. Tagsüber war ich mit Wartungsarbeiten an
einigen meiner laufenden Illusionsmaschinen beschäftigt gewesen - einer von
meinen Jungs, der dieses Jahr Weihnachten keine Süßigkeiten von Onkel Frank
bekommen würde, hatte sich in eine Situation manövriert, in der er aus
komplizierten Gründen eine ältere Frau brauchte, die er etlichen kleinen Drogendealern
als seine Großmutter vorstellen konnte —, und ich war auf dem Weg zu meiner
Exfrau, um meine Tochter fürs Wochenende abzuholen. Olivia und Holly wohnen in
einer sagenhaft geschmackvollen Doppelhaushälfte in einer gepflegten Sackgasse
in Dalkey. Olivias Daddy hatte uns das Haus zur Hochzeit geschenkt. Als wir
einzogen, hatte es einen Namen statt einer Nummer. Ich ließ den Namen schnell
verschwinden, aber trotzdem, schon damals hätte ich kapieren müssen, dass diese
Ehe zum Scheitern verurteilt war. Wenn meine Eltern von meinen Heiratsabsichten
gewusst hätten, hätte meine Ma sich bei der Genossenschaftsbank mit einem
Kredit hoch verschuldet, um uns eine hübsche geblümte Couchgarnitur zu kaufen,
und wäre entrüstet gewesen, wenn wir die Plastikhüllen von den Polstern
entfernt hätten.
    Olivia
postierte sich mitten in der Tür, für den Fall, dass ich auf die Idee käme,
reinkommen zu wollen. »Holly ist gleich fertig«, sagte sie.
    Olivia,
und das sage
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