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Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)

Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)

Titel: Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)
Autoren: Christine Westermann
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    W o will ich noch hin mit meinem Leben?
    Wo will das Leben noch mit mir hin?
    Zwei Fragen und keine Antworten.
    Nicht mal eine.
     
    Ich bin 65 und habe zum ersten Mal in meinem Leben das Gefühl, ich sollte ihm eine Richtung geben. Dabei gibt das Alter von ganz allein eine grobe Peilung an. Mit Mitte sechzig ist das Ende in Sicht. Zielgerade. Dabei scheint es egal, ob diese Strecke nur zwei oder noch zwanzig Meter/Jahre lang ist.
    Zwanzig Jahre sind lang, wenn man sie mit Leben füllt, oder? In den letzten zwanzig Jahren bin ich nach Amerika gezogen, habe dort gelebt und gelernt, bin beruflich der Länge nach hingeschlagen, wieder aufgestanden, gefeiert worden, zurückgekommen, habe mich verliebt, verheiratet, Bücher geschrieben, Angst gehabt, persönlichen Schrecken erlebt, alte Freunde verloren, neue gefunden. In der Rückschau war das unglaublich viel. Viel Leben.
    Warum zögere ich dennoch zu glauben, dass die nächsten zwanzig Jahre genauso voll, bunt und intensiv sein werden? Vielleicht weil es keine zwanzig mehr sein werden. Vielleicht nur zehn. Oder gar nur eines? Nicht mal das?

    Lebe jeden Tag so, als ob es der letzte Deines Lebens wäre. Zehn Euro fürs Phrasenschwein.
    Hat was von Schlussverkauf, von Hektik, Raffgier, Mitnehmen, was man kriegen kann. Das große Ramschen am Lebensabend, bevor nichts mehr geht. Ich tröste mich damit, dass es sich in meinem Fall möglicherweise erst mal nur um den späten Nachmittag des Lebens handelt. Das Gefühl, dass noch was kommen soll, kommen muss, ist nur vage. Aber es ist da, es plagt mich, schiebt mich, drängt mich in eine Richtung, die ich nicht erkennen kann. Als hätte ich Scheuklappen auf. Werde aber den Eindruck nicht los, dass es gut wäre, mich endlich auf den Weg zu machen. Wohin? Ich habe keinen Plan.
     
    Wenn ein Autor gut ist, dann sagt er nichts. Er flüstert es. Wenn ich mein Flüstern höre, bin ich mir nicht wirklich sicher, ob ich es aufschreiben sollte.
    Ich bin mir nicht ganz geheuer. Beim Strandspaziergang nur der Ozean an meiner Seite, mein Blick geht ins Ungefähre, ich bin mit mir selbst unterwegs. Schaue mir beim Gehen zu und frage mich, wie lange das noch gut gehen kann. Wie viel Sorglosigkeit, wie viel Unbeschwertsein erlaubt sind, bevor der Leichtigkeit, dem Luftballonherzen in mir, die Luft ausgeht. Als würde mein Inneres mir zustimmen wollen, schickt es einen Seufzer nach oben. Er ist nicht nur tief, er ist auch laut. Ein leiser Schrei. Ich laufe am Strand entlang und schreie einmal kurz auf.
    Ungewollt, es macht jemand in mir, den ich nicht kenne. Es ist mir peinlich, ich bin mir peinlich.
    Eine ältere Frau am Strand, die laut seufzt. Zu laut.

     

    Wenn man könnte, würde man, nur ein einziges Mal, wissen wollen, was in Zukunft ist? An einem Januartag in einem Jahr? In fünf, in zehn Jahren? Und wenn man wüsste, dass man dann schon nicht mehr ist, würde man sofort damit anfangen, anders zu leben?
    Vor ein paar Monaten ist der Vater eines Freundes gestorben. Bei der Beerdigung las der Pfarrer einen Psalm aus der Bibel, von dem ich gleich wusste, der ist für mich bestimmt. Verwegener, aber sehr sicherer Gedanke. »Bedenket, dass ihr sterben müsst, auf dass ihr klug werdet.« Als hätte da mal eben einer ganz lässig den Sinn des Lebens, den Sinn meines Lebens, auf den Punkt gebracht. Die Furcht, sterben zu müssen, jetzt, wo es mir manchmal scheint, als habe ich halbwegs begriffen, wer ich bin, wie ich bin (von lautstarken Strandseufzern abgesehen), begleitet mich wie ein sanfter Schatten.
    Mit dem Sterben ist es wie mit dem Altwerden. Keiner sagt einem, wie es sein könnte. Alle schreiben sie Ratgeber, aber eigentlich sind sie alle ahnungslos. Ich weiß mir keinen Rat, das wäre mal ein kluges Bekenntnis, ein ehrlicher Buchtitel.
    Ehrlich gesagt will ich auch von anderen gar nicht wissen, wie es am besten gehen könnte. Mit dem Sterben und dem Altwerden. Mit 65 Jahren geht man mit nicht mehr ganz so federnden Schritten auf die 70 zu. Ob ich da unversehrt ankomme, ob ich da überhaupt ankomme, woher soll ich das wissen?

     
    Ich habe Furcht zu sterben. Ziemlich banal, hat vermutlich jeder, falls er sich auf den Gedanken überhaupt einlässt, das Ende zu bedenken. Ich habe Furcht,weil es zu früh sein könnte. Weil ich unbedingt noch bleiben will. Jetzt, wo ich ganz vorsichtig die Erziehung des Lebens zu begreifen beginne. Sie ist nicht autoritär, nicht anti, nicht Summerhill und nicht Waldorf. Sie ist für mich seit mehr
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