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Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind
Autoren: A Hollinghurst
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Du bist wirklich zu generös, so einen Freund wie Dich hat keiner, Harry. So, jetzt wird es aber Zeit fürs Dinner, wir haben nämlich einen neuen Freund von George zu Gast, einen Dichter! Du wirst ihn morgen kennenlernen, wenn Du kommst; er sieht umwerfend aus, das muss ich sagen, aber ich habe noch keine einzige Zeile von ihm gelesen! Hab tausend Dank, Harry, alter Knabe & liebste Grüße von Deinem
    Hubert
    Hubert drehte das Blatt um und schlug behutsam mit der Faust darauf, um die Tinte auf dem Deckblatt der Unterlage zu löschen. Mit seiner ausladenden Schrift hatte er es geschafft, die letzten Worte auf die Rückseite des gefalteten Bogens hinüberzuziehen, ein Zeichen, dass man nicht aus reiner Pflichterfüllung geschrieben hatte. Der Brief floss angenehm dahin, und beim nochmaligen Lesen war er auch ganz zufrieden mit seinem unterschwelligen Humor. Er steckte ihn in einen Um schlag, schrieb »Harry Hewitt Esq., Mattocks, Harrow Weald« und »Durch Boten« in die rechte untere Ecke und legte ihn auf das Tablett in der Halle, damit Jonah ihn am nächsten Tag hinüberbrachte. Für einen Moment verharrte er, von dem Gedanken ergriffen, dass alles seine formelle Richtigkeit hat te, dass er hier wohnte und Harry drüben in seinem eige nen Haus, und dass zwischen ihnen Briefe verkehrten mit vor nehmer Effizienz.

5
    G eorge kam als Letzter nach unten, blieb aber trotzdem kurz auf der Treppe stehen. Sie waren fast fertig. Er sah das Hausmädchen mit einem Salzfässchen durch die Halle eilen, roch den gekochten Fisch, hörte Cecils vorlautes La chen – und er erschrak vor seiner eigenen Kühnheit, diesen Mann in sein Elternhaus eingeladen zu haben. Dann fiel ihm wieder ein, was Cecil im Park zu ihm gesagt hatte, während der halben Stunde, die sie sich mit der Ausrede, er habe den Zug verpasst, ergaunert hatten, und spürte bei der süßen, heimlichen Vorfreude ein Kribbeln im Kopf, in den Schultern, im ganzen Körper. Auf Zehenspitzen ging er die letzten Stufen hinunter und schlich sich in den Salon; die Gefahren, die auf ihn lauerten, raubten ihm schier die Sinne. »Ah, George«, murmelte seine Mutter leicht vorwurfsvoll; er zuckte die Schultern und zierte sich, als wäre es sein einziges Vergehen, dass er sie hatte warten lassen. Hubert, mit dem Rücken zum leeren Kaminrost, hatte die Anwesenden in ein Gespräch über den öffentlichen Nahverkehr verwickelt. »Ihr seid also in Harrow und Wealdstone gestrandet, ja?« Er strahlte über den Rand seines Champagnerglases hinweg, als wäre er auf die Unbilden des Lebens in Stanmore so stolz wie auf dessen Segnungen.
    »Was uns aber überhaupt nichts ausgemacht hat«, bemerkte Cecil, der Georges Blick auffing und verlegen lächelte.
    »Wie sagte mal ein Witzbold so schön? Harrow und Wealdstone klingt eher nach mittelalterlichen Folterinstrumenten.«
    »Oh, bitte, erspart mir den Wealdstone!«, sagte Daphne theatralisch.
    »Witzbolde können über Harrow und Wealdstone sagen, was sie wollen, wir sind ihnen jedenfalls treu ergeben«, erwiderte seine Mutter.
    George stand neben Cecil, schaute in das Glas seines Freundes, drückte ihm eine Hand ins Kreuz und trommelte mit den Fingern, wie um die heimlichen Töne der Abbitte und Verheißung anzuschlagen. »Nutze den Tag, lautet das Motto der Valances«, sagte Cecil. »Wir sind dazu erzogen worden, keine Zeit zu vergeuden. Ihr wärt erstaunt, was man in einer halben Stunde so alles treiben kann, selbst auf einem Vor stadtbahnhof.« Er zeigte ihnen allen sein strahlendes Lächeln, und als Daphne fragte: »Was denn für Sachen?«, lächelte er einfach weiter, als hätte er sie überhört.
    »Dann müsst ihr über Bentley Priory gekommen sein.« Hubert schien wild entschlossen, ihren Weg Schritt für Schritt nachzugehen.
    »Ja, stimmt«, sagte Cecil sehr sanft.
    »Queen Adelaide hat da früher mal gewohnt«, führte Hubert weiter aus und runzelte umgehend die Stirn, wie um zu demonstrieren, dass er kein Aufhebens darum machen wollte.
    »Das habe ich auch gehört«, sagte Cecil, der sein Glas bereits geleert hatte.
    »Ich glaube, später war es ein exzellentes Hotel«, sagte Mrs Kalbeck.
    »Heute ist es eine Schule«, näselte Hubert pikiert.
    »Ein trauriges Schicksal!«, sagte Daphne.
    Meine Güte!, dachte George, brachte es aber nur zu einem gequälten Schmunzeln. Er ging durch den Salon, goss sich den Rest Pommery ein und sah zum Fenster, in dem sich der erleuchtete Raum spiegelte und sich, erhaben und doppelt so groß, bis
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