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Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind
Autoren: A Hollinghurst
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immerhin, ein knappes, spaßiges Wiehern, wenn auch sie selbst, wie so oft, in den Spaß nicht eingeweiht war. Dann hob Cecil den Kopf, sah sie und sagte: »Oh, hallo!«, als wären sie sich schon öfter begegnet und hätten Freude daran gehabt.
    George war im ersten Moment verdutzt, knöpfte sich hastig das Jackett zu und sagte, ziemlich scharf: »Cecil hat den Zug verpasst.«
    »Muss er wohl«, sagte Daphne, die sich für einen trockenen Tonfall entschied, um sich zu wappnen gegen die ständig lauernde Gefahr, gehänselt zu werden.
    »Und dann musste ich mir natürlich noch Middlesex ansehen«, sagte Cecil. Er trat auf sie zu und schüttelte ihre Hand. »Mir kommt es so vor, als wären wir durch das ganze County gewandert.«
    »Er hat dir den Weg über die Felder gezeigt«, sagte Daphne. »Es gibt den Weg über die Felder und den Weg durch die Vor orte, Letzterer ist nicht annähernd so reizvoll. Man stapft ein fach immer nur Stanmore Hill hinauf.«
    George schnaufte verlegen und zugleich erleichtert. »So, Cess, jetzt kennst du meine Schwester.«
    Cecils Hand, warm und hart, hielt die ihre noch immer gönnerhaft umklammert. Es war eine große Hand, irgendwie unempfindlich, eine Hand, die eher gewohnt war, Ruder und Seile zu packen als die schlanken Finger sechzehnjähriger Mädchen. Daphne nahm seinen Geruch auf, nach Schweiß und Gras, und seinen sauren Atem. Als sie ihm ihre Hand entziehen wollte, drückte er sie noch mal, ein, zwei Sekunden lang, bevor er sie freigab. Es war ihr unangenehm, doch im nächsten Moment spürte sie, dass ihre Hand die Erinnerung an seine bewahrte, und beinahe hätte sie sie zwischen den Schatten hindurch ausgestreckt und seine noch mal berührt.
    »Ich habe Gedichte gelesen«, sagte sie, »aber dann wurde es leider zu dunkel.«
    »Ah!«, sagte Cecil mit einem spitzen Lachen, fast einem Kichern, doch sein Blick war freundschaftlich, das spürte sie. In der Dämmerung mussten sie angestrengt hinschauen, um die Miene des anderen genau zu erkennen, was den Anschein hatte, als interessierten sie sich besonders füreinander. »Von wem?«
    Es waren Gedichte von Tennyson, aber sie hatte auch die Zeitschrift Granta gelesen, in der drei Gedichte von Cecil abgedruckt waren, »Corley«, »Morgengrauen auf Corley« und »Corley, Dämmerung«. »Ach, Alfred, Lord Tennyson.«
    Cecil nickte bedächtig und schien nach einer geistreichen Erwiderung zu suchen. »Glauben Sie, dass er heute noch von Bedeutung ist?«, sagte er.
    »Aber ja«, antwortete Daphne entschieden, überlegte dann aber, ob sie seine Frage verstanden hatte. Flüchtig blickte sie zwischen die Baumreihen, wie um andere, verborgene Blickwinkel aufzuspüren. George behelligte sie häufig mit diesem Cambridge-Gerede, bei dem man auf Dingen beharrte, die unmöglich gemeint sein konnten. Es war eine raffinierte Form, sich über jemanden lustig zu machen, und sie offenbar te einem nie, warum die Antwort, die man gegeben hatte, falsch war. »Wir lieben unseren Tennyson«, sagte sie. »Hier auf Two Acres.«
    Schelmisch blickte Cecil unter der breiten Krempe seines Strohhuts hervor. »Ich sehe, wir verstehen uns«, sagte er. »Wir könnten uns ja gegenseitig alle unsere Lieblingsgedichte vorlesen – falls Sie gerne laut vortragen.«
    »Oh, ja!«, sagte Daphne, schon von Vorfreude gepackt, obwohl sie Hubert noch nie laut hatte vorlesen hören, außer mal einen Leserbrief in der Times, dem er zustimmte. »Und welches ist Ihr Lieblingsgedicht?«, fragte sie, für einen Moment besorgt, sie könnte es nicht kennen.
    Cecil lächelte sie beide an, kostete seine Entscheidungsmacht aus und sagte dann: »Nun, das werden Sie erfahren, wenn ich es Ihnen vorlese.«
    »Hoffentlich ist es nicht ›Die Lady von Shalott‹«, sagte Daphne.
    »Oh, die ›Lady von Shalott‹ gefällt mir sehr.«
    »Ich wollte damit sagen, es ist mein Lieblingsgedicht«, korrigierte sich Daphne.
    »Jetzt kommt schon«, scheuchte George sie mit ausgebreiteten Armen vorwärts. »Mutter begrüßen.«
    »Übrigens«, sagte Daphne, »ist Mrs Kalbeck auch da.«
    »Dann sollten wir versuchen, sie loszuwerden«, sagte George.
    »Versuchen kannst du es ja …«, sagte Daphne.
    »Mir tut Mrs Kalbeck jetzt schon leid«, sagte Cecil. »Wer immer sie sein mag.«
    »Sie ist eine große Küchenschabe«, sagte George, »die meine Mutter vergangenes Jahr nach Deutschland begleitet hat und seitdem nicht von ihr lassen kann.«
    »Mrs Kalbeck ist eine Witwe aus Deutschland«, erklärte Daphne im
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