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Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind
Autoren: A Hollinghurst
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Ton bekümmerter Sachlichkeit und mit einem bedauernden Kopfschütteln. Auch Cecil hatte die Arme ausgebreitet, und ohne zu überlegen, tat sie das Gleiche; für einen Moment schien es, als hätten drei sanfte Rebellen ein Bündnis geschlossen.

2
    W ährend das Dienstmädchen das Teegeschirr abräumte, stand Freda Sawle auf und schlenderte zwischen den Sofatischen und zahllosen kleinen Sesseln zum geöffneten Fens ter. Über dem bepflanzten Steinhügel glühten rosa einige Wolkenfetzen, und der Garten war mit dem ersten Grau der Dämmerung verstummt. Es war die Stunde des Tages, die ihr aufs Gemüt schlug. »Irgendwo da draußen ist mein Kind und verdirbt sich die Augen«, sagte sie und wandte sich dem wär meren Licht des Zimmers zu.
    »Falls sie ihre Gedichtbüchlein dabeihat«, sagte Clara Kalbeck.
    »Sie hat sich mit einigen Gedichten von Cecil Valance befasst. Sie meint, sie seien sehr schön, aber nicht so gut wie die von Swinburne oder Lord Tennyson.«
    »Swinburne …«, ließ sich Mrs Kalbeck naserümpfend vernehmen.
    »Alle Gedichte von Cecil, die ich bisher gelesen habe, handeln von seinem Elternhaus. Aber George sagt, es gebe auch noch andere, von eher allgemeinem Interesse.«
    »Ich kenne mich allmählich recht gut aus im Haus von Cecil Valance«, sagte Clara mit einer Schroffheit, die noch ihrer liebenswürdigsten Bemerkung eine sarkastische Note gab.
    Freda schritt vor bis zur Musikecke des Raums, einem Erker, in dem ein Klavier und ein dunkler Grammofonschrank standen. George hatte sich nach seinem Besuch auf Corley Court recht kritisch über Two Acres geäußert: Es habe die Tendenz, »sich in Nischen aufzulösen«. Diese Nische besaß ein eigenes Fensterchen und wurde von einem breiten Eichenbalken überspannt. »Sie haben sich verspätet«, sagte Freda, »aber George hat mich schon vorgewarnt, Cecil sei, was Pünktlichkeit betrifft, ein hoffnungsloser Fall.«
    Clara blickte nachsichtig zur Uhr auf dem Kaminsims. »Sie werden noch ein bisschen umherschweifen, denke ich.«
    »Wer weiß, was George ihm antut!« Freda erschrak selbst über ihren scharfen Ton.
    »Vielleicht hat er in Harrow und Wealdstone den Anschluss verpasst«, sagte Clara.
    »Das wird es sein«, sagte Freda, und für einen Augenblick standen die beiden Namen mit den eingeklemmten Vokalen, das gutturale r und das verschliffene W , das sich fast wie ein F anhörte, sinnbildhaft für den Anspruch, den ihre Freundin auf England, auf Stanmore und auf sie erhob. Sie unterbrach ihren Rundgang, um die in einem erwartungsvollen Halbkreis auf einem kleinen runden Tisch angeordneten eingerahmten Fotografien umzustellen. Der gute Frank, aufgenommen in einem Fotoatelier, eine Hand auf einem ebenfalls kleinen Tisch abgestützt; Hubert, in einem Ruderboot; und George, auf einem Pony. Die letzten beiden schob sie auseinander, um Daphne etwas mehr in den Vordergrund zu rücken. Meistens war Freda froh über Claras Gesellschaft, ihre ungenierte Bereitschaft, endlos lang auf ihrem Platz auszuharren. Sie war eine gute Freundin und verdiente nicht weniger Mitleid. Freda hatte drei Kinder, ein Telefon und ein eigenes Badezimmer; Clara besaß keine dieser Annehmlichkeiten, und man konnte es ihr schwerlich übel nehmen, wenn sie sich, auf der Suche nach Unterhaltung, aus der feuchten, beengten »Lorelei« den Berg hinaufquälte. Heute jedoch, da das Dinner für zusätzliche Anspannung in der Küche sorgte, bewies sie mit ihrer Beharrlichkeit einen Mangel an Sensibilität.
    »Wie man sieht, ist George ja so froh, dass er einen Freund hat«, sagte Clara.
    »Ja.« Freda fand mit einem Mal ihre Geduld wieder und setzte sich. »Darüber freue ich mich natürlich auch. Zuvor hatte er anscheinend niemanden.«
    »Vielleicht hat der Verlust seines Vaters ihn schüchtern gemacht«, sagte Clara. »Er wollte immer nur mit Ihnen zusammen sein.«
    »Hm, da mögen Sie recht haben«, sagte Freda, brüskiert durch Claras Weisheit, gleichzeitig berührt von dem Gedanken an Georges Ergebenheit. »Aber er hat sich verändert. Ich erkenne es an seinem Gang, und er pfeift viel vor sich hin. Ein Mann, der pfeift, freut sich gewöhnlich auf etwas. Natürlich liebt er Cambridge. Er liebt die Welt der Ideen.« Ideen, das waren in ihren Augen die Wege quer über die College-Innenhöfe und um sie herum, die die jungen Männer beschritten, durch Torbogen hindurch und Treppen hinauf. Jenseits lag das Durcheinander gesellschaftlicher Freiheit, die Gärten und Flussufer, wo George und
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