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Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind
Autoren: A Hollinghurst
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wenn dein Mund zuletzt«, entzifferte Jonah; die Wörter, anfangs in ziemlich großer Schrift, wurden nach wenigen Zeilen, wo die Streichungen einsetzten, kleiner und krakeliger, wucherten in alle Richtungen quer über die Seite, bis sie sich verdichteten und in der rechten unteren Ecke übereinanderpurzelten. Einzelne Blätter mit Eselsohren steckten zwischen den Seiten, ebenso ein Umschlag, adressiert an »Cecil Valance Esq re , King’s College«, in einer wie gestochenen Schrift, die er sogleich als Georges identifizierte. Er vernahm rasche Schritte auf der Treppe, dann Cecils Stimme: »Hallo? Welches ist mein Zimmer?«
    »Hier, Sir«, sagte Jonah, schob den Brief zurück und stellte hastig die Bücher nebeneinander auf den Tisch.
    »Ah, bist du mein Bursche?«, fragte Cecil und beherrschte sogleich den Raum.
    »Ja, Sir.« Jonah kam sich für einen Augenblick wie ein Verräter vor.
    »Ich werde dich kaum benötigen«, sagte Cecil, »und morgens kannst du mich sowieso ganz allein lassen«, zog sein Jackett aus und reichte es Jonah, der es in den Kleiderschrank hängte, ohne die fleckigen Ellbogen zu berühren. Er nahm sich vor, später, wenn die Herrschaften ihr Dinner einnahmen, noch mal wiederzukommen und sich dann unbeobachtet den schmutzigen Kleidern zu widmen. Bis Montagmorgen würde er sich mit allen Sachen von Cecil ausgiebig beschäftigen. »Wie soll ich dich rufen?«, sagte Cecil, als hätte er eine Liste im Kopf zur Auswahl.
    »Ich bin Jonah, Sir.«
    »Jonah … hm?« Gelegentlich rief der Name Kommentare hervor, und Jonah fing an, die Bücher auf dem Tisch neu zu ordnen. Ob man erkennen konnte, dass er hineingeschaut hatte? »Das sind die Notizbücher mit meinen Gedichten«, sagte Cecil. »Hüte dich davor, sie anzufassen.«
    »Sehr wohl, Sir«, sagte Jonah. »Hätte ich sie lieber nicht auspacken sollen?«
    »Nein, nein, ist schon gut so«, sagte Cecil arglos. Er band die Krawatte los und knöpfte das Hemd auf. »Schon lange bei der Familie?«
    »Seit Weihnachten, Sir.«
    Cecil lächelte, als hätte er die Frage mit ihrer Beantwortung bereits vergessen. »Ulkiges kleines Zimmer, nicht?« Da Jonah nicht antwortete, fügte er mit seinem bellenden Lachen hinzu: »Trotzdem, ziemlich charmant, ziemlich charmant.« Jonah hatte das seltsame Gefühl, intim mit jemandem zu verkehren, der ihn gleichzeitig nicht wahrnahm. Es war genau das, wonach man als Diener trachtete, doch in den anderen, kleineren Schlafzimmern hatte man ihn nie in Gespräche ver wickelt. Dezent blickte er zu Boden, durfte er doch nicht dabei ertappt werden, wie er Cecils nackten Oberkörper betrachtete. Jetzt holte Cecil sein Kleingeld aus der Hosentasche und knallte es auf den Waschtisch. Jonah sah es und biss sich auf die Lippe. »Und lass mir ein heißes Bad ein«, sagte Cecil, löste die Gürtelschnalle und wackelte mit den Hüften, um die Hose abzuschütteln.
    »Ja, Sir«, sagte Jonah, »sofort, Sir«, und glitt mit einem Gefühl der Erleichterung an ihm vorbei ins Badezimmer.

4
    H ubert verzichtete an diesem Abend auf ein Bad und begnügte sich mit einer Waschschüssel auf seinem Zimmer. Der Gast sollte die Vorzüge des Hauses genießen, und einigermaßen befriedigt hörte Hubert das gewaltige Planschen nebenan, bedauerte aber auch, während er sich vor dem Spiegel die Krawatte band, dass sein eigenes Opfer, die halbe Stunde in der Wanne, die er sich versagt hatte, praktisch unbemerkt bleiben würde.
    Da er nun etwas Zeit gewonnen hatte, begab er sich nach unten in das düstere kleine Zimmer neben dem Eingang, das sein Vater als Büro benutzt hatte und wo auch Hubert gerne seine Briefe schrieb. In Wahrheit führte er nur sehr wenig private Korrespondenz und war sich auch darüber im Klaren, dass er kein Talent dafür besaß. Wenn es einen Brief zu schreiben galt, erledigte er das geschäftsmäßig und prompt. Jetzt setzte er sich an den Eichenschreibtisch, holte das neue Geschenk aus der Innentasche seines Smokings und legte es mit einem leichten Unbehagen auf die Schreibtischunterlage. Er nahm einen Briefbogen aus einer Schublade, tauchte seine Feder in das Tintenfass aus Zinn und schrieb in einer nach links geneigten, kringeligen Schrift:
    Mein lieber alter Harry,
ich weiß gar nicht, wie ich mich für das silberne Zigarettenetui bedanken soll. Es ist ein echtes Schmuckstück, Harry, alter Knabe. Bis jetzt habe ich noch keinem davon erzählt, aber nach dem Dinner zeige ich es den anderen. Ich bin schon gespannt auf ihre Gesichter.
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