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0013 - Die Knochengrube

0013 - Die Knochengrube

Titel: 0013 - Die Knochengrube
Autoren: Horst Friedrichs
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Joop Pravemann wußte, daß die »Drachten« davon nicht mehr weit entfernt war. Der vollbärtige Kapitän kannte sein Schiff. Seit fünf Jahren kreuzte er damit auf Nordsee, Atlantik und Mittelmeer. Aber einen Orkan wie diesen hatte er selbst in der ohnehin schon stürmischen Biskaya noch nie erlebt.
    Plötzlich stieß er einen verblüfften Laut aus.
    Trotz der hoch aufsprühenden Gischt konnte er deutlich das Schiff erkennen, daß sich von Backbord durch die Finsternis näherte. Es war hell erleuchtet – ein Riese mit vier Schornsteinen, schätzungsweise zweihundert Meter lang, doch aus einer längst vergangenen Epoche.
    »Das gibt es nicht«, stammelte Pravemann. »Ein Geisterschiff!«
    Er kniff die Augen zu und riß sie wieder auf, weil er glaubte, daß seine Sinne ihm einen üblen Streich spielten. Irrtum! Das gewaltige Passagierschiff war immer noch da. Es stampfte direkt auf die »Drachten« zu.
    Pravemann brauchte Sekunden, um seine Fassung wiederzuerlangen. Er drehte sich um, wollte auf die Brücke zurückkehren, aber die Gestalt des Steuermanns war bereits über ihm auf dem Treppenabsatz erschienen.
    »Beidrehen«, schrie der Kapitän, »sonst rammt er uns!«
    Dann wandte er sich ab. Er rannte über das Deck, kämpfte mit den Fluten, die ihn niederreißen wollten. Einmal glitt er aus, konnte sich aber an der Seitenverstrebung der Aufbauten festhalten. Pravemann hetzte durch einen schmalen Niedergang, erreichte das Zwischendeck und riß die Tür zum Funkraum auf.
    Willem Koog, der Funker, blickte auf. Der blonde Mann mit der Brille war so leicht durch nichts zu erschüttern. Aber als er Pravemanns Miene sah, nahm er verdutzt den Kopfhörer ab. »Ist es soweit, Käptn? Ist der Kahn im Eimer?«
    »Koog, Sie müssen den Notruf ändern. Ein Passagierdampfer hält auf uns zu. Sehen Sie mich nicht so komisch an, Mann! Hölle und Teufel, ich habe keine Ahnung, woher er so plötzlich kommt, aber er ist da, und wir können jeden Augenblick kollidieren.« Der Kapitän hustete und hielt sich am Funktisch fest. Wieder krängte die »Drachten« auf die Seite.
    »Küstenwache zwofünf, zwofünf, hier MS ›Drachten‹!« rief Koog ins Mikrofon. Mit dem linken Daumen drückte er den Rufknopf, mit der Rechten klammerte er sich am Tischbein fest. »Position vierundzwanzig, zweiundvierzig Nord, dreinullviernull West. Kommen.«
    »›Drachten‹, hier Küstenwache zwofünf«, kam es schwach aus dem Lautsprecher.
    »Küstenwache zwofünf, wir befinden uns in Seenot. Passagierdampfer unbekannter Nationalität und Herkunft will uns rammen«, erwiderte Koog. »Es ist ernst, verdammt ernst…«
    Unvermittelt wurde das Brüllen des Orkans von einem neuen, eigentümlichen Geräusch überlagert. Pravemann drehte sich um und stieß mit dem Schuh gegen die hin und her schlagende Tür des Funkraums. Dann stürmte er auf eines der Bullaugen zu. Was er draußen in der tobenden See erblickte, ließ ihn erschauern.
    »Koog«, rief er eigentümlich schrill, »das Schiff hebt sich in die Lüfte! Es steigt aus dem Wasser auf. Kommen Sie selbst her, wenn Sie es nicht glauben!«
    Der Funker wiederholte seine Meldung, bevor er die Kopfhörer erneut losriß, aufsprang und zu seinem Kapitän eilte. Unwillkürlich nestelte er mit beiden Händen an der Brille, als er neben Pravemann stand und durch das Bullauge starrte.
    »Das Schiff… fliegt«, würgte er.
    »Gleich stoßen wir zusammen!«
    »Warum drehen wir nicht bei, Käptn?«
    »Ich habe die Anweisung gegeben, und sie ist befolgt worden. Der Geisterkahn muß das gleiche Manöver durchgeführt haben. Himmel, Koog, was ist das für ein verdammtes Geräusch?«
    »Klingt wie ein Musikinstrument.«
    Weiter kam der Funker nicht. Die Worte blieben ihm einfach im Hals stecken. Pravemann duckte sich wie ein in die Enge getriebenes Tier und stieß nur etwas hervor, das wie »Heiliger Klabautermann« klang.
    Die unheimlichen Laute kaschierten das Sturmheulen jetzt völlig.
    Ja, auch der Vollbärtige vernahm deutlich die Melodie, die sich aus dem Klangbild schälte, eine bekannte Melodie – ein Trauermarsch.
    Irgend jemand an Bord des Geisterschiffes spielte auf einem Harmonium oder einer Orgel. Doch das war es nicht, was die Männer schockte.
    Gestalten tanzten über die eben noch leeren Decks des Giganten mit den vier Schornsteinen. Merkwürdig magere Erscheinungen, deren wehende Kleider nur aus großen Stoffetzen zu bestehen schienen, bleiche grinsende Gesichter – Gespenster. Deutlich war
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