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Mathilda Savitch - Roman

Mathilda Savitch - Roman

Titel: Mathilda Savitch - Roman
Autoren: C.H.Beck
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Eins
    Ich will gemein sein. Schreckliche Gemeinheiten machen, und warum eigentlich nicht? Dumpf, dumpf und noch mal dumpf ist die Leier meines Lebens. Wie jetzt, am Abend, zu früh, ins Bett zu gehen, aber zu spät für draußen, und die beiden lesen lesen lesen, rollen die Augen wie die Lichter in einem Kopiergerät. Vorhin, als ich beim Einräumen der Spülmaschine half, habe ich einen Teller kaputt gemacht. Ich sagte, tut mir leid, Ma, der ist mir ausgerutscht. Aber er war nicht ausgerutscht, so bin ich manchmal, und ich will schlimmer sein.
    Ich habe schon Sachen gequält, das haben die Jungen mir gezeigt. Spinnen die Beine ausreißen und so. Kevin Ryder von nebenan und seine Freunde, die ließen mich immer in ihre Festung kommen. Aber das ist Jahre her, ich war noch ein Kind, da war es egal, ob Junge oder Mädchen. Wenn ich heute in die Festung ginge, wäre das sicher gegen das Gesetz. Das Gesetz meiner Mutter. Warum bleibst du nicht zu Hause?, sagt sie. Sei vorsichtig da draußen, jedes Mal, wenn ich aus der Tür gehe. Aber das sind nur Worte, glaube ich, kümmert es sie wirklich? An wen denkt sie in Wirklichkeit, wenn sie an mich denkt? Ich habe so meine Vermutungen. Und sowieso, haben die Jungen überhaupt noch eine Festung? Wahrscheinlich ist sie längst zerfallen. Es war eine Festung im Wald, aus Stöcken und Decken und Laub. So etwas hält nicht ewig.
    Außerdem weiß ich jetzt Dinge über meinen Körper, von denen ich damals keine Ahnung hatte. Nicht mehr die Unschuld von gestern, das steht jedenfalls fest.
    Gemeinsein ist einfach, wenn man es richtig darauf anlegt. Manchmal kneife ich Luke. Luke ist unser Hund. Kneifen geht nicht bei jedem Hund, manche beißen. Aber Luke ist alt und ein Gefühlsdusel, nichts als Liebe Liebe Liebe, schon darum würde er nie beißen. Ich streichele ihn ein paar Minuten, ganz lieb und schmusig, und auf einmal kneife ich, dann jault er und tigert suchend durchs Zimmer, was ihn da wohl gezwickt hat. Mich verdächtigt er erst gar nicht, so blind ist er vor Liebe. Aber ich glaube, wenn mir einer die Pistole auf die Brust setzte – liebst du ihn, liebst du ihn nicht? –, würde ich mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit doch sagen, ich liebe diesen blöden Hund. Er war schon immer bei uns und schläft in meinem Bett.
    Wenn Sie es wissen wollen, ich bin in diesem Haus geboren, mit diesem Hund und diesen beiden, ausgerechnet Lehrer. Es ist ein blaues Haus. Von außen betrachtet möchte man schwören, es habe ein Gesicht, so, wie die Fenster sind. Fensteraugen, eine Fensternase und eine Tür als Mund. Hallo, Haus, sage ich jedes Mal, wenn ich nach Hause komme. Das habe ich schon immer gesagt, solange ich mich erinnern kann. Ich sage auch andere Sachen, bessere, aber die verrate ich niemandem. Ich habe Geheimnisse, und es werden mehr. Einmal habe ich eine Geschichte über ein Mädchen gelesen, das plötzlich starb, und als man es aufmachte, fand man in seinem Magen ein goldenes Medaillon, dazu die Federn eines Vogels. Niemand konnte sich das erklären. Also dieses Mädchen, das bin ich. Das ist meine Geschichte, nur was man in meinem Magen finden wird, wer weiß? Jedenfalls lohnt es sich, darüber nachzudenken.
    Einen Augenblick, während ich sie beim Lesen beobachte, kommt es mir vor, als wären Ma und Pa zu Stein erstarrt. Wo aber ist die Frau mit dem Schlangenhaar, frage ich mich. Bin ich es? Dann sehe ich,wie sich die Bücher ein klein wenig heben und senken, so weiß ich wenigstens, sie atmen, Gott sei Dank. Luke liegt wie eine schlappe Pfütze auf dem Teppich, hin und weg, im Land der Träume. Aus dem Nirgendwo lässt er einen fahren und reißt ein Auge auf.
Oh, was ist das?
, wundert er sich.
Wer ist da?
Ein schöner Wachhund, der den Unterschied zwischen einem Pups und einem Einbrecher nicht kennt. Und er ist zu faul, die Sache zu erkunden. Solange sie nicht den Teppich unter ihm wegstehlen, was interessiert es ihn? Ich kann ziemlich gut seine Gedanken lesen. Tierpsychologin wäre der ideale Job für mich. Die Einzigen, in die ich mich schlecht hineinversetzen kann, sind Vögel. Vögel sind die Irren der Tierwelt. Haben Sie die schon mal beobachtet? Oje, sind die verrückt! Selbst wenn sie zwitschern, traue ich ihnen nicht hundertprozentig.
    Ich hasse diese Ruhe. Ein stinkender Hundepups und dann nichts mehr, oder bin ich etwa taub, habe ich das Gehör verloren? Jemand in meiner Lage fängt natürlich an, über Dinge nachzugrübeln. Sogar über den Tod. Den Tod und die Zeit und
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