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Amnion 3: Ein dunkler, hungriger Gott erwacht

Amnion 3: Ein dunkler, hungriger Gott erwacht

Titel: Amnion 3: Ein dunkler, hungriger Gott erwacht
Autoren: Stephen R. Donaldson
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HOLT
     
     
    Kurz bevor Angus Thermopyle und Milos Taverner an Bord der Posaune das VMKP-HQ verließen, stattete Holt Fasner seiner Mutter einen Besuch ab.
    Er besuchte sie trotz der Tatsache, daß die alte Vettel seit Jahrzehnten schlechte Laune hatte.
    Die Fortschritte der Medizin, die ihn im Alter von einhundertfünfzig Jahren bei nahezu vollkommener Gesundheit, relativ rüstig, ja beinahe in Bestform hielten, waren zu spät errungen worden, um bei seiner Mutter eine vergleichbar effektive Wirkung zu haben. Vielmehr hätten sie schon vor dreißig Jahren bei ihr versagt, hätte Holt nicht darauf bestanden, sie an Apparate anzuschließen, die erst ihr Blut pumpten, dann die Verdauung erledigten und schließlich auch für sie atmeten. So besehen, lebte sie also weiter; aber sie glich nur noch dem Schatten einer Frau. Ihre Haut hatte die fleckige Färbung alten Leinens; sie konnte kaum die Hände bewegen; seit mindestens zehn Jahren hatte sie den Kopf nicht mehr von der Stütze gehoben. Sie bemerkte keinen Unterschied mehr, wenn die Schläuche ihr Nährstoffe zuführten oder Ausscheidungen ableiteten.
    Ihr Verstand jedoch hatte nicht gelitten. Lange nachdem ihr Körper jede Fähigkeit zum Handeln verloren hatte, vermochte Norna Fasner, bitter wie eine Flasche voller Säure, noch zu denken.
    Das war der Grund, weshalb ihr Sohn ihr das Leben bewahrte. Sie hatte es schon vor vielen Jahren aufgegeben, ihn um den Tod zu bitten. Aus alter, schmerzlicher Erfahrung sah sie voraus, daß er sie mit einem ausdruckslosen Auflachen und einer hämischen Äußerung abblitzen ließe. »Du weißt doch, daß ich ohne dich nicht zurechtkomme, Mütterchen.« Und wenig später wäre ein neuer TV-Apparat in dem Raum installiert, den sie als ihre Gruft betrachtete.
    Sie verfolgte das Geschehen auf den Mattscheiben, obwohl sie sie verabscheute. Die Bilder blieben alles, über das sie sich Gedanken machen konnte. Schaltete man die Apparate ab, versänke ihr Gehirn fast mit Gewißheit in Nullaktivität; und das wollte sie nicht. Sie wünschte sich keine Bewußtlosigkeit, sondern den Tod. Wäre nur eines der Geräte abgeschaltet worden, hätte sie aus Enttäuschung und Kummer geweint. Jedes Bild, jedes Wort, jede flüchtige Andeutung galt ihr als Hinweis, der ihr auf lange Sicht zu glauben ermöglichen mochte, daß ihren Sohn zu guter Letzt doch das Unheil einholte. Ohne diese Hinweise – ohne die Möglichkeit, sie zu haben –, wären alle die langen Jahre ihres untätigen, untoten Daseins vergeblich.
    Ihr Sohn war Generaldirektor der Vereinigten Montan-Kombinate; ohne Frage der reichste und ohne Zweifel mächtigste lebende Mensch. Er beherrschte sein ausgedehntes Wirtschaftsimperium vom ›Stammsitz‹ der Firma aus, einer Orbitalstation, die eine halbe Million Kilometer weiter entfernt als das VMKP-HQ um die Erde kreiste: das größte und wohl, allerdings nicht unstrittig, auch das wichtigste, unentbehrlichste Unternehmen der Menschheitsgeschichte. Seine Untergebenen zählten Millionen; Männer und Frauen, die infolge seiner Entscheidungen lebten oder starben, nach Milliarden. Gedeckt durch die Fassade des VMK-Firmenstatuts und der offiziellen Demokratie des Erd- und Kosmos-Regierungskonzils – das nominell die Aufgabe hatte, Menschen wie ihn und Firmen wie die VMK zu kontrollieren – stürzte und etablierte er Regierungen, ruinierte oder duldete er Konkurrenten, sorgte er dafür, daß potentielle Zukunft konkrete Gestalt annahm oder sich wie Nebel verflüchtigte. Hinter seinem Rücken nannten Leute, die vor ihm Furcht hatten, ihn manchmal ›Drachen‹; und ausschließlich Menschen, die keine Ahnung davon hatten, wer er war, fürchteten ihn nicht.
    Er stand an der Drehscheibe der menschlichen Beziehungen zum Bannkosmos. Aller menschliche Zugriff auf diese Quelle unermeßlicher Reichtümer erfolgte durch seine Hand. Und ebenso bot er der Menschheit den einzigen Schutz gegen die unwägbare Bedrohung durch den Bannkosmos.
    Der Gegenwert von Holt Fasners Zeit konnte nicht einmal in purem Cäsium geschätzt werden. Trotzdem besuchte er seine Mutter, sobald sich dazu die Gelegenheit ergab. Ihr Rat bedeutete ihm zuviel, um sie sterben zu lassen. Bisweilen verursachte es ihm jedoch erhebliche Schwierigkeiten, ihr Gerede zu durchschauen. Ihr Verlangen nach seinem Untergang war dermaßen unübersehbar, daß er beim Einstufen ihrer Worte und ihrer Auslassungen außerordentlich vorsichtig sein mußte. Infolgedessen empfand er seine Besuche bei
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