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Der Schatten des Highlanders

Titel: Der Schatten des Highlanders
Autoren: Lynn Kurland
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    Schottland  2005
    Schottland im Regen.
    Es gab, stellte Sunshine Phillips fest, nicht viele andere Wörter, die mehr romantische Bilder heraufbeschwören konnten als jene drei. Sie zog die Tür des Fitnessstudios hinter sich zu, dann hob sie ihr Gesicht zum Himmel und schloss die Augen. Der Regen, der auf sie herabfiel, war nicht besonders warm — schließlich war es erst Ende März —, aber es war genau die Art von Regen, bei dem man es sich als Frau am liebsten mit einem heißen Getränk vor dem Kamin gemütlich macht und den Tropfen lauscht, die sanft aufs Dach fallen. Sie lächelte vergnügt vor sich hin. Alles war bestens.
    Sie war richtiggehend verliebt in Schottland. Sie mochte es, wie der Himmel schwer über dem Land lastete und ihr das Gefühl gab, geerdet zu sein. Sie liebte die Wachstumszyklen, die Jahreszeiten in den Highlands, die Großfamilie, in die ihre Schwester eingeheiratet hatte.
    Aber am liebsten mochte sie den Regen.
    Einen Vorgeschmack auf den schottischen Nieselregen hatte sie im Jahr zuvor bekommen, als ihre Schwester sie eingeladen hatte, in die Highlands zu kommen. Nur zu gern hatte sie damals ihr hektisches Leben in Seattle zugunsten dieses Besuchs hinter sich gelassen, der sich schließlich über die ganze Schwangerschaft und das Wochenbett ihrer Schwester hingezogen hatte.
    Und irgendwann in all diesen Monaten hatte es sich für sie herauskristallisiert, dass sie nach einem Grund suchte,
    um länger in Schottland zu bleiben als nur einen einzigen Frühling und Sommer. Sie hatte es nicht ernsthaft zu hoffen gewagt.
    Doch dann war ihr, völlig überraschend, ein kleines moosbewachsenes Cottage zugefallen, das aussah, als entstamme es geradewegs einem Highland-Märchen. Sie hatte ohne Zögern angenommen und den vergangenen Winter damit verbracht, glücklich am Feuer zu sitzen und ihren Träumen nachzuhängen.
    Dann hatte der Frühling seine Vorboten ausgesandt, und eine innere Unruhe hatte sie ergriffen. Sie hatte sogar überlegt, wieder in die Staaten zu gehen und endlich dieses Rohkost-Catering auf die Beine zu stellen, mit dem sie vor ihrer Reise nach Schottland gerade hatte loslegen wollen. Aber damals war Madelyn zu Besuch gekommen, frisch zurückgekehrt aus Schottland, wo ihr Leben eine umwälzende Veränderung erfahren hatte.
    Ein Umzug nach Seattle würde jedoch bedeuten, die Highlands zu verlassen, und sie konnte sich nicht dazu überwinden, auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden. Ihr wunderschönes, windschiefes Häuschen war über und über mit Kräuterbüscheln bewachsen und der Wald rundherum überwuchert mit Blumen und Heidekraut. Das alles konnte sie einfach nicht aufgeben. Noch nicht. Nicht, bevor sie sich nicht überzeugt hätte, dass sie das, wonach sich ihr Herz am stärksten sehnte, hier nicht finden würde.
    Aber über all das konnte sie auch später noch nachdenken, wenn sie gemütlich vor ihrem heimischen Kaminfeuer saß. Jetzt musste sie erst einmal dringend der Nässe entfliehen. Sie wischte sich den Regen vom Gesicht und wollte gerade um die Ecke gehen. Doch dann stutzte sie beim Anblick einer Frau, die keine zehn Meter von ihr entfernt stand. Sie trug eine dunkle Sonnenbrille — etwas vollkommen Überflüssiges an diesem Tag. Eigentlich waren es nicht nur ihre Sonnenbrille oder ihr rabenschwarzes Haar, die irgendwie beklemmend wirkten; ihre gesamte Erscheinung strahlte etwas Dunkles und Furchteinflößendes aus. Diese Frau war ihr unheimlich, obwohl sie mit gespenstischen, spukhaften Dingen eigentlich wohlvertraut war.
    Madelyn hätte sich über ihre Reaktion köstlich amüsiert.
    Sie diagnostizierte spontan, zu langes Verweilen im Regen habe ihr wohl den letzten Rest von gesundem Menschenverstand geraubt und gab sich einen Ruck.
    »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte sie.
    »Ich warte auf jemanden.«
    »Aus dem Yogakurs?«, fragte Sunny verwirrt. »Ich bin aber die Letzte, die anderen sind schon weg.«
    »So, so«, sagte die Frau mit auffallend monotoner Stimme. Sie blieb reglos eine weitere Minute auf demselben Fleck stehen, dann wandte sie sich plötzlich um und ging davon.
    Sunny sah ihr nach, dann ließ sie die Begegnung Revue passieren. Vielleicht war die Frau von ihrem Freund versetzt worden oder von einem Polizisten auf dem Weg ins Dorf angehalten worden, oder sie wartete am falschen Ort und hatte deshalb schlechte Laune. Sunnys Problem war es jedenfalls nicht. Sie warf sich ihre Tasche über die Schulter, ging die Gasse zwischen den Häusern
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