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Frauenbataillon

Frauenbataillon

Titel: Frauenbataillon
Autoren: Heinz G. Konsalik
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nagte an seiner dicken Unterlippe und sah dabei wie ein dicker, glotziger Fisch aus. Dann zog er seine Jacke an und kratzte sich wieder an der Nase.
    »Na, na«, sagte er begütigend. »Noch liegt er nicht im Kasten. Wird draußen an einem Feuer hocken, gesund wie ein Stier, und irgend etwas Besonderes vorhaben.«
    »Er ist nie über Nacht weggeblieben, ohne es vorher gesagt zu haben«, weinte Stella. »Warum soll er am Feuer hocken?«
    »Weiß ich es? Vielleicht hat er ein seltenes Tier entdeckt?«
    »In der Nacht? Wer jagt denn mitten in der Nacht?!«
    »Da ist was dran!« Stupka schnaufte laut. »Beruhige dich, Stellanka. Wir suchen ihn. Und wenn wir ihn quietschlebendig finden, gibt es ein Fest! Und das wird teuer werden, das sage ich dir!«
    Eine Stunde später war alles auf den Beinen, was in Nowo Kalga laufen konnte. Nur die Kinder und die ganz Alten blieben zu Hause. Stupka arbeitete wie gewohnt sehr gründlich. Er ließ nicht nur die Feuersirene gellen, sondern auch die Kirchenglocken läuten. Der Feuerwehrwagen rückte aus, und auf sieben Lastwagen fuhr man hinaus in die Taiga, mit Fackeln, Karbidlampen, Batteriescheinwerfern, Taschenlampen und Baustellenlaternen mit Petroleumdochten.
    Ein wahres Feuerwerk war es, was da durch den Wald zog, und immer wieder schallten Sprechchöre durch die Nacht – »Pjotr! Pjotr Herrmannowitsch!« Wenn Salnikow nicht plötzlich blind und taub geworden war, mußte er dieses Getöse weit hören und darauf antworten.
    Aber Pjotr Herrmannowitsch Salnikow meldete sich nicht. Stella, die mit Stupka und Dr. Semaschko an der Spitze der Kolonnen durch den Wald lief, warf jedesmal verzweifelt die Arme hoch, wenn nach einem Ruf erwartungsvolle Stille herrschte und die erhoffte Antwort ausblieb. Nur aufgescheuchtes Wild floh vor der Feuerreihe und brach in wilder Panik durch das Unterholz.
    Aber dann fanden sie ihn doch. Er war noch bis zu dem kleinen Feuer gekrochen, hatte seine Leinenjacke über die aufgerissenen Schultern gezogen und lag nun, das Gesicht nach links gewandt, auf dem Bauch. Er war besinnungslos und atmete ganz schwach. Seine Lippen zitterten, sie waren im Licht der Fackeln und Handscheinwerfer farblos, fast grau.
    Starr hockte sich Stella neben Pjotr und legte beide Hände auf seinen Kopf. Dr. Semaschko hob die Leinenjacke hoch, ein entsetztes Raunen entfuhr den Mündern der Umstehenden, und irgend jemand sagte mit heiserer Stimme: »Brüder, laßt uns beten …« Stupka kniete neben Stella nieder.
    »Er lebt noch – «, sagte Dr. Semaschko gepreßt. »Das ist ein wahrhaftiges Wunder. Und ein zweites wäre es, wenn er am Leben bliebe …«
    Schon auf der Rückfahrt im Feuerwehrwagen bekam Salnikow eine Kochsalzinfusion. Stella umklammerte seinen Kopf, Semaschko paßte auf, daß die Infusionsnadel nicht bei dem Rütteln und Schütteln des Wagens aus der Vene rutschte, und Stupka beschimpfte vom Beifahrersitz aus den Feuerwehrmann am Steuer als Idioten, obwohl er genau wußte, daß es unmöglich war, diese Waldwege erschütterungsfrei zu passieren.
    »Wird er am Leben bleiben?« fragte Stella, kurz nachdem sie die ausgebaute Straße nach Nowo Kalga erreicht hatten. »Sag mir die Wahrheit, Wiljam Matwejewitsch. Die volle Wahrheit. Kann man mit solchen Wunden überleben?«
    »Die Wunden sind nicht das Problem.« Dr. Semaschko wechselte die Infusionsflasche. Er kontrollierte Herzschlag und Puls, beugte sich über Pjotrs Kopf und sah ihn lange an. Noch ein Wunder, mein Freund, dachte er, laß ein weiteres Wunder geschehen. Überlebe! Du hast ein starkes Herz, warst immer ein Kerl wie ein Baum. Nimm die Infusionen an, laß deine blutleere Pumpe wieder schlagen. Ich kann nichts anderes tun, als ständig neue Flüssigkeit in dich hineinträufeln.
    »Der Blutverlust …«, sagte Stella Antonowna mit zusammenpreßten Lippen.
    »Ja.«
    »Aber er lebt doch noch.«
    »Ebendies ist mir unbegreiflich. Er hat kein Blut mehr in den Adern und atmet trotzdem … Medizinisch kann ich das nicht erklären. Aber all meine Hoffnung klammert sich daran.«
    »Wird Pjotr weiterleben?«
    »Nur Gott kann das entscheiden.«
    »Ich glaube nicht an Gott, Wiljam Matwejewitsch.« Sie starrte ihn mit weiten Augen an. In ihrem Blick lagen Betroffenheit, Staunen, Nichtbegreifen. »Was? Du glaubst an ihn?«
    »Ein Arzt sieht Gott oft neben sich. Aber ich kann dir das nicht erklären. Du würdest es nie begreifen.«
    »Vielleicht doch.« Sie streichelte Pjotrs Kopf und küßte ihn auf die geschlossenen
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