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Frauenbataillon

Frauenbataillon

Titel: Frauenbataillon
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Augen. »Jetzt eher als je zuvor. Ich möchte mit dir öfter darüber sprechen, Wiljam Matwejewitsch.«
    Sie sah ihn an und lächelte schwach. Er ist ein alter Mann. Seine weißen Haare stehen ab wie Besenborsten. Er soll schon über siebzig sein; bei der Oktoberrevolution war er schon Student. Und später kämpfte er als Unterleutnant bei den Weißen, bei Denikin, in einem Kosakenregiment am Don und in Rostow. Die Roten nahmen ihn gefangen und verurteilten ihn zum Tode. Aber vorher operierte er noch den General Chamkassky an einem Leistenbruch. In Wiljams Papieren hatte man nämlich einen Bericht gefunden, demzufolge er der beste Chirurg seines Lehrgangs war. Die Operation verlief hervorragend, Chamkassky begnadigte Semaschko und ließ ihn nicht aufhängen, sondern nach Sibirien bringen, wo man ihn in Jakutsk praktisch aussetzte. Irgendwie war er dann nach Nowo Kalga gekommen und hatte entdeckt, daß hier der Mensch noch frei war unter dem weiten Himmel. Seitdem gehörte er zu der Gemeinde wie die Erde, auf der sie errichtet war. Er wurde älter, gewiß, aber in Nowo Kalga galt er als unsterblich. Es war unvorstellbar, seine wehenden weißen Haare eines Tages nicht mehr zu sehen und nicht mehr zu hören, wie er seinen Patienten befahl: »Hose runter, auch wenn du dich nicht gewaschen hast. Die Spritze tut dir nichts, du bist gegen Dreck immun!«
    Er glaubt an Gott, dachte Stella versonnen und streichelte weiter Pjotrs wachsbleichen, blutleeren Kopf. Sieh an, das hat er sich aus der vergangenen Zeit herübergerettet. Wer hätte das gedacht? In die Kirche ist er nie gegangen, das hätte sich herumgesprochen. Er muß eine andere Vorstellung von Gott haben als der Pope. Ich will mit ihm darüber sprechen … wenn Pjotr wieder gesund geworden ist …
    Im kleinen Krankenhaus von Nowo Kalga tat Dr. Semaschko, was er konnte. Er injizierte intrakraniell ein starkes Herzmittel, gab Frischblut in die Vene, massierte den Brustkorb und wagte es dabei nicht, Stella Antonowna anzusehen. Sie stand auf der anderen Seite des Operationstisches, die Hände um Pjotrs Kopf gelegt und wartete darauf, daß sich sein Brustkorb zu einem richtigen Atemzug weitete.
    Als das Frischblut angeschlossen war, sagte sie stockend: »Es läuft ihm ja alles am Rücken wieder heraus …«
    »Das sehe ich!« Dr. Semaschko preßte die Lippen zusammen. Die dicken Unterlagen saugten sich voll Blut. Es war wie in dem alten dummen Witz, in dem ein Bauer Wasser in einen Eimer pumpt und sich darüber wundert, wieviel sein Eimer faßt und daß er nie voll wird, bis schließlich jemand kommt und sagt: »Du ungeschnitzter Holzkopf! Siehst du denn nicht, daß der Eimer keinen Boden hat!«
    Sie drehten Pjotr um. Die schrecklichen Wunden lagen frei im hellen Scheinwerferlicht, das zerfetzte Fleisch hing klumpig an Haut und Sehnen. Was sollte man hier noch zusammenflicken und nähen? Es fehlten ganze Stücke. Erdbrocken und Grasbüschel, verdorrte Lärchennadeln und zerquetschte Walderdbeeren klebten im verkrusteten Blut.
    »Bis auf die Knochen hat er ihn getroffen – «, sagte Wiljam Matwejewitsch erschüttert. »Es war ein Bär. Hier oben an der Schulter sieht man noch die Spuren der Krallen. Rätselhaft. Wirklich sehr rätselhaft. Wie konnte Pjotr sich von einem Bären überraschen lassen?«
    Er holte den gröbsten Schmutz mit Pinzetten aus den Wunden und versuchte dann, die heftigsten Blutungen durch Klammern zu stillen. Plötzlich fuhr ein leichtes Zittern durch Salnikows Körper, die Muskeln erschlafften vollends, und sein Atem setzte aus.
    Dr. Semaschko legte die Pinzette hin, drehte den kleinen Hahn der Bluttransfusion zu und stützte sich schwer auf den OP-Tisch. Ihm gegenüber hob Stella Antonowna den Kopf und sah ihn stumm aus leeren Augen an.
    »Ja …«, sagte Wiljam Matwejewitsch leise. »Ja. Zwei Wunder hintereinander gibt es nicht. So ist das nun, Stella Antonowna. Man muß es hinnehmen … wir können nichts anderes tun.«
    Sie nickte, beugte sich über Pjotr, drehte seinen Kopf zur Seite und küßte ihn auf die Wange. Ihre Hände beschmierten sich dabei mit Blut, sie hob sie hoch ins Licht und sah sie an.
    »Ich möchte etwas von Pjotrs Blut mitnehmen«, sagte sie plötzlich.
    Dr. Semaschko zuckte zusammen, als habe ihn jemand in den Unterleib getreten. Sein Mund klappte auf. »Was willst du?« stotterte er fassungslos.
    »Blut von ihm mitnehmen … du hörst es doch.«
    »Sein Blut?« Er schluckte krampfhaft. »Wozu denn?«
    »Ich will es
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