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Frauenbataillon

Frauenbataillon

Titel: Frauenbataillon
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Pjotr sein Feld ausrodete, wie er sich auf die Jagd verstand, wie der Garten gedieh und das Haus immer größer wurde. Und wie Pjotr von Jahr zu Jahr stärker wurde, stark wie eine Taigakiefer, deren Holz von Winter zu Winter härter wird, bis schließlich der Stahl der Axt wirkungslos an ihr abprallt.
    Kein Schwächling, dieser Pjotr, o nein! Auch jetzt nicht, mit seinen vierundfünfzig Jahren! Haar und Bart waren etwas grau geworden, und Falten hatten sich in sein von Sonne, Wind und Frost gegerbtes Gesicht eingegraben; Schicksalskerben waren das, Narben eines harten Lebens, aber noch immer wirkte er so unbeugsam wie die Taiga selbst.
    Nun stand er da, starr, bewegungslos, mit herabhängenden Armen und leeren Händen, und wußte genau, daß weder sein Mut noch ein Gebet ihn würden retten können.
    Sechs Meter vor ihm qualmte das noch niedrige Lagerfeuer. An einem Gestell aus Weidengerten hingen der kleine Teekessel und ein Topf mit Kohlsuppe. Daneben lag auf einer Zeitung ein Stück Rentierfleisch und wartete darauf, an eine Weidengerte gespießt und im Feuer gebraten zu werden. Und gleich daneben im moosigen Gras sah er sein gutes, kurzläufiges Gewehr, eine Moisin-Nagant M-54 mit Zielfernrohr und vierfacher Vergrößerung, seinen alten, lieben Kameraden, der ihn bisher nie im Stich gelassen hatte. Mit geschlossenen Augen konnte er es auseinandernehmen und wieder zusammensetzen. Er hatte sich mit ihm so gut eingeschossen, daß er sein Ziel nur mit dem Blick anzuvisieren brauchte. Er traf immer. Mann und Gewehr bildeten eine Einheit.
    Aber nun lagen sechs Meter zwischen ihm und der Moisin-Nagant, und das war weiter als der Weg zu den Sternen. Es waren nicht allein die drei großen Sprünge, derer es bedurfte, um das Gewehr zu erreichen, nein, es mußte ihm auch noch die Zeit bleiben, sich zu bücken, die Waffe hochzureißen, zu entsichern und genau ins Auge zu zielen. Der erste Treffer mußte tödlich sein. Er zweifelte nicht daran, daß ihm das gelingen würde … aber er kam an das Gewehr nicht heran. Die sechs Meter waren wie sechs Ewigkeiten.
    Was ein Mensch in zwei Sekunden alles denken kann!
    Pjotr Herrmannowitsch warf sich herum, stieß gleichzeitig die Fäuste vor und duckte sich.
    War das ein Bär!
    Es war der größte, breiteste, dickpelzigste, stärkste und schönste Bär seines Lebens. Atemberaubend … wie aus einer anderen Welt, ein Untier, wie aus Urzeiten überkommen. Sein Fell war dunkelbraun, fast schwarz, und mit vielen weißen Grannen durchsetzt. Die Brust wölbte sich vor wie eine Kesselpauke, der mächtige kugelrunde Kopf wurde nur von der spitz zulaufenden Schnauze und der feuchten Nasenkugel unterbrochen, über der wie schwarze, polierte Glasknöpfe die kalten und reglosen Augen im Pelz saßen. Der Bär hatte die Vorderpranken weit ausgebreitet, stand hoch aufgerichtet da und verwehrte Pjotr Herrmannowitsch Salnikow den Blick zum Himmel. Ergreifend schön war er, so gewaltig in seiner Kraft, so unbesiegbar in diesem Augenblick, daß Pjotr laut einatmete und dann die Luft anhielt.
    Er hatte gewußt, daß es sich um ein besonders schönes Exemplar handeln mußte. Am frühen Morgen hatte er ihn aufgestöbert, unten am steinigen Wildbach … Der Bär hatte im Wasser gesessen und auf Fische gewartet, die durch die Stromschnellen springen würden. Mein Gott, hatte Pjotr gedacht und sich hinter einen Baum gestellt, das ist ein Tier! Niemand hat gewußt, daß solch ein Bär in diesen Wäldern lebt, auch ich bin ihm nie begegnet in all den Jahren. Und alt muß er sein – und ein Einzelgänger, ein Sonderling, denn was sich hier mit den Bärinnen so herumtreibt, das kenne ich. Oder ist er ein Tyrann? Einer der gewaltigen Herrscher, die sich nicht um Familie und Sippe kümmern, die, wenn sie sich paaren wollen, jeden anderen Bären in die Flucht treiben und die Weibchen nehmen, so wie früher die feinen Herrchen, die sich an den Mädchen der Leibeigenen vergnügten. Ja, so einer mußte das sein! Und als der Bär aus dem Fluß trottete, hatte Pjotr ihn versäumt zu schießen, hatte ihn nur voller Bewunderung angestarrt und sich an seiner Schönheit erfreut.
    Das war ein Fehler, der nie wieder gutzumachen war und der Pjotr jetzt das Leben kosten würde. Kaum hatte der Bär den Fluß verlassen, nahm er die Witterung des Menschen auf, äugte zu Pjotr hinüber, warf sich herum und rannte in den Wald hinein. Der Zweikampf Mensch gegen Tier begann.
    Pjotr folgte dem Bären, schlich ihn gegen den Wind an,
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